Blutrotes Wasser
erkannte sie das Elend in seinen Augen, denn ihr Blick wurde weicher.
»Es ist mir egal, in welcher Scheiße du steckst«, sagte sie leise. »Ich will nur wissen … Also du und ich …« Auch sie stockte jetzt und wusste offenbar nicht weiter. Lázlo rieb sich die Stirn. Das war grotesk, mehr noch, das war wirklich verrückt. Ihm blieb gerade noch ein Tag, um irgendwie Hollós Pläne zu vereiteln und sich von der Fekete Sereg zu verabschieden. Menschenleben standen auf dem Spiel, alles schmeckte nach Tod und Verderben. Und was machte er? Er saß in einem Café des 19. Jahrhunderts einem wunderschönen Mädchen gegenüber und bekam das Maul nicht auf. Sein Mund war trocken. Sein Herz pochte im Akkordbetrieb.
»Ich will von dir wissen«, begann Lena erneut, »ob da etwas ist zwischen uns.« Ihre Stimme wurde leiser. »Wirklich und wahr und …« Nur noch ein Flüstern. »Liebe.«
Ja, JA! Das wollte er brüllen, hinausposaunen in die ganze Welt, aber seine Kehle war so trocken wie Mondstaub, und er wusste nicht, was er tun sollte.
Sein Kopf nickte von ganz allein.
»Ja«, krächzte er schließlich. »Gewiss … ich … liebe dich.« Lächerlich hörte sich das an. Ganz anders als in den Gedichten von Goethe und Heine, die er gelesen hatte. Schweißtropfen perlten ihm über die Stirn.
»Gut«, sagte Lena einfach und fasste seine Hand fester. »Warum zum Teufel kennst du dann den Typen, der meinen Rucksack geklaut hat?« Sie fauchte es jetzt.
Lázlo schluckte. Meine Güte, das wurde immer verrückter. Es ging nicht. Das funktionierte alles nicht. Das GellértBad, das Parlament. Lena. Hollós Plan. Gott, hatte sie wundervolle Augen, selbst wenn sie zornig war. Nein, er konnte ihr nichts sagen. Erst musste das alles … vorbei sein.
Lázlo stand so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten krachte. Es störte ihn nicht. »Hör zu, Lena, hör mir jetzt genau zu. Es tut mir unendlich leid und ich war nicht ehrlich zu dir, und ich habe mich in dich verliebt, obwohl ich das nicht sollte, und ich werde dir alles erklären, aber von größter Wichtigkeit ist jetzt nur eines: Was auch immer du morgen tust: Halte dich von den Höhlen und dem GellértBad fern. Versprich es mir! Und auch in die Nähe des Parlaments darfst du nicht kommen. Verstehst du? Das ist … zu gefährlich.«
Wie ein Schwall Erbrochenes waren die Sätze aus seinem Mund gestürzt. Er schaute sie an, so als wollte er sich ein letztes Mal ihr Gesicht einprägen – dann stürzte er aus dem Café.
Lena schaute ihm hinterher; den Mund immer noch offen vor Verblüffung kramte nach ihrem Portemonnaie, warf genug Forint-Scheine für drei Sissi-Kaffees auf den Tisch und folgte ihm.
So einfach kam er ihr diesmal nicht davon.
17.21 Uhr, Kettenbrücke
Lázlo stürmte über die Donau. Wo sollte er hin? Was sollte er tun? Das Gespräch mit Lena war glorreich gescheitert. Die Polizei glaubte ihm nicht. Seine Mutter. Er musste mit ihr reden. Sie würde ihm helfen. Oder nicht? Sie war nur eine blöde Kuh. Nein, das stimmte nicht. Er war der blöde Ochse, der Idiot ohnegleichen, der sich von einer Gruppe brutaler Spinner zu Mord und Totschlag hatte verleiten lassen. Auf, auf, Ungarn! So ein Schwachsinn.
Lázlo presste die Fäuste auf die Augen. Nichts sehen, nichts hören, aber nein, das funktionierte nicht mehr, das hatte nie funktioniert. Etwas Besseres als den Tod findest du überall. Ha. Das war der beste Spruch des Jahrhunderts gewesen. Nichts hatte er gefunden. Jedenfalls nichts Besseres. Lázlo erstarrte mitten auf der Kettenbrücke. Um ihn herum drängten sich auf dem schmalen Fußgängerstreifen die Touristen, auf der Brückenmitte lärmten die Autos. Lázlo blieb einfach stehen und drehte seinen Kopf hin zur Donau. Er ging einen Schritt, lehnte sich an das Geländer, beugte seinen Kopf nach vorne. Wie tief das wohl hinunterging? Tief genug? Die alte Aschewolke der Verzweiflung und Trauer hüllte Lázlo wieder ein. Warum weitermachen, wenn alles sinnlos war? Einmal hatte er es versucht, jetzt konnte er es vollenden. Seinetwegen würden morgen viele Menschen sterben, vergiftet im Thermalbad, zerschmettert durch Explosionen. Nichts mehr ergab einen Sinn.
Lázlo starrte in die braune schmutzige Donau. Ein Sprung, einmal fliegen und dann die große Erleichterung. Eine gute Idee. Er spürte Tränen in seinem Gesicht und wunderte sich, spürte die Müdigkeit der letzten Wochen, die Erschöpfung. Einfach ausruhen, o ja. Er würde jetzt einfach …
Eine sanfte,
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