Blutrotes Wasser
riegelte die Fekete Sereg jeden Eingang ab. Da nutzte ihm seine Kopie des Generalschlüssels, die er aus den Tunneln mitgenommen hatte, herzlich wenig. Denk nach, Lázlo, denk nach! Verzweifelt hackte er noch einmal die Nummer des Kommissars ins Handy, aber wieder kam er nicht durch. Was sollte er bloß tun?
Willenlos ließ er sich von den Menschenmassen weiterschieben und erstarrte. Dort stand Holló, der Rabe! Er thronte auf einer Bühne, umringt von Anhängern, die in bunten Trachtenanzügen einen Kreistanz aufführten. Die silberne Maske des Anführers glänzte in der Sonne auf und blendete ihn – hatte er Lázlo gesehen?
Verdammt, verflucht, verfickt!
Lázlo schob sich noch tiefer in die feiernde Menschenmenge. Er schlängelte sich bis zum Rand des Hauptstromes durch, schob sich mit Ellenbogen und bösen Blicken vorwärts und erreichte den Seitenarm des Parlamentsgebäudes. Kaum wusste er, was er tat, nur weg wollte er von den stechenden Augen unter der Silbermaske, nur ein paar weitere Meter Abstand zwischen sich und Holló, den Raben, bringen. Was jetzt?
Lázlo starrte das Handy an. Eine Möglichkeit gab es noch. Wenn es noch irgendeinen anderen Weg in das Parlament gab, dann konnte ihm nur ein Mensch helfen. Jemand, der Lázlo seit fünf Jahren die Hand entgegenstreckte, ohne dass er sie ergriffen hatte. Abscheu, Wut, Verzweiflung, Sehnsucht – all das wirbelte in Lázlo herum. Da war sie wieder, die gute alte Betonmischmaschine. Lázlo presste die Augen zusammen. Er konnte das nicht. Aber er musste. Er musste mit ihr reden. Endlich.
16.31 Uhr, Gellértberg, Einstieg ins Höhlensystem
Noch war alles in Ordnung. Ihr Puls ratterte im Morse-Schnelltakt, ihr Atem keuchte wie der einer asthmatischen 90-Jährigen und ihr Bauch war ein zusammengeknülltes Stück Aluminium. Aber sonst war alles in Ordnung. Lena trieb auf dem Wasser, oben gehalten durch die aufgeblasene Tarierweste. Der Tauchscooter in ihrer Hand war nicht schwer, aber er zog nach unten. Ihre Maske drückte auf Wangen und Stirn. Ein letzter Blick auf die Uhr: 16.32. Noch 28 Minuten. Jetzt oder nie. Mit zitternden Fingern nahm Lena die zweite Stufe des Lungenautomaten in den Mund. Schmeckte Gummi und mit dem ersten Atemzug Pressluft. Ha-Hu, wurde sie höhnisch begrüßt. Sie steckte den Kopf unter Wasser, sah das dunkle schwarze Loch unter sich sein Maul aufreißen. Bereit, kleine Lenas zu verschlingen. Aber das war jetzt egal. Nein, sie konnte das nicht. Aber sie musste. Nein. Doch. Mach die Augen zu, blöde Kuh!
Lena tastete nach dem Knopf, der die Luft aus ihrer Tarierweste drückte. Und sie machte die Augen zu. Blind tauchte sie unter.
16.36 Uhr, vor dem Parlamentsgebäude, Kossuth tér
Von Frenyczeks Stirn perlten die Schweißtropfen. Auch unter seinen Achseln fühlte es sich heiß und feucht an. Aber für Selbstekel hatte er wahrlich keine Zeit. Er hetzte weiter, probierte sein Handy ein letztes Mal, aber welche Nummer er auch versuchte – er bekam keine Verbindung. Die erste Telefonzelle hatte ihn mit einem abgerissenen Hörer begrüßt, vielen Dank auch. Jetzt endlich erspähte er eine zweite. Rennend und schiebend, fluchend und brüllend schob er sich vorwärts. Gut, der Hörer war noch dran. Aber als er eine Münze einwerfen wollte, brüllte er frustriert auf: Der Schlitz war fein säuberlich mit Kaugummi verklebt. Eine Telefonzelle? Gut, das war nichts Ungewöhnliches. Aber gleich zwei? Langsam glaubte Frenyczek nicht mehr an Zufälle. Er tippte das kleine Mikro am Kragen an. »Grün 1 ruft Rot 3.«
»Ich bin hier, Chef.«
»Wie ist die Lage?«
»Das Mädchen ist grad rein.«
»Was? Spinnst du?«
»Die ließ sich einfach nicht aufhalten. Aber immerhin ist sie doch ein Profi, oder?«
Frenyczek rieb sich über die Stirn. »Okay. Wie schnell kannst du im Gellért-Bad sein?«
»Zehn Minuten, vielleicht fünfzehn.«
»Okay, dann los. Ich bekomme keine Verbindung, du musst also schleunigst dorthin. Hol alle aus dem Wasser! Alle, verstehst du? Ich will kein verdammtes Quietsche-Entchen mehr in den Becken haben!«
»Quietsche… Okay, Chef.«
»Dann los, Grün 1 Ende.«
16.38 Uhr, Höhlensystem Molnár János
Lena kämpfte. Es war ein lautloser Kampf ohne jede Bewegung, aber er war brutal und hässlich. Während das Gewicht des Tauchscooters sie langsam nach unten zog, während ihr Körper von dem 27 Grad warmen Thermalwasser umschmeichelt wurde und sie Meter für Meter in die Tiefe sank, tobte in ihrem Kopf eine bizarre
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