Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
Vom Netzwerk:
vor Ort?«
    »Nein, Chef. Dieser Sándor Palotás wollte mit seiner Familie zur Prozession und sonst …«
    Frenyczeks Gedanken rasten. Einen Hubschrauber einsetzen? Die Kampfschwimmer der Armee beauftragen? Nichts davon würde schnell genug gehen. Nicht an einem Tag wie diesem.
    »Danke Rot 3, ich kümmere mich um alles Weitere. Bleiben Sie vor Ort. Grün 1 Ende.«
    Die Armbanduhr des Kommissars sprang eine Minute weiter. 16.22 Uhr. Eine Entschärfung der Bomben war nicht realistisch. Aber die Menschen im Gellért-Bad konnten noch gerettet werden. Die Katastrophe so klein wie möglich, den Ball schön flach halten. Frenyczek holte sein Handy aus dem Jackett: Die Nummer des Gellért-Bades hatte er noch gespeichert. Er drückte die Wahltaste und hörte – nichts. Sein Handy war tot.
    16.27 Uhr, Gellértberg, Einstieg ins Höhlensystem
    »Aus dem Weg!«, brüllte Lena.
    Der Polizist in Zivil, der hier Wache schob, warf ihr ein paar Worte Ungarisch zu – wahrscheinlich das Äquivalent zu: »Was zum Teufel machst du, dumme Kuh?«
    Lena hatte kostbare Minuten vergeudet, um nach Sándor Ausschau zu halten. Aber weder er noch ein anderer Taucher aus seinem Team waren im Center. Dann war sie auf den Bullen gestoßen und hatte ihn mit ihrem mickrigen Englisch nach Kommissar Frenyczek gefragt. Sie musste wirklich mal wieder ihr Vokabular auffrischen. Immerhin kapierte sie jetzt, warum Fremdsprachen so wichtig waren: wenn man mal wieder die Welt retten wollte.
    16.24, sagte ihre Taucheruhr. Es half alles nichts. Noch während der Polizist mit seinem Chef redete, hatte Lena sich die Pressluftflaschen, Bleigurt, Tarierweste, Lungenautomat und Taucherbrille geschnappt. Weder für Flossen noch den Neoprenanzug blieb Zeit – bis sie sich in das Ding gequetscht hätte, wären die Bomben längst hochgegangen. Was noch? Das Tauchermesser, verdammt. Sie schnallte es mit zitternden Fingern um ihren Unterschenkel. Die meisten Taucher hatten Messer dabei. Nicht, um damit gegen gemeine Meerestiere zu kämpfen und weißen Haien den Bauch aufzuschlitzen, sondern, um sich zu befreien: Manchmal verfing man sich in Netzresten oder verknäuelten Angelschnüren, wenn man unter Wasser reiste.
    Los jetzt, los!, rief es in Lenas Kopf.
    Ich kann nicht, brüllte eine andere Stimme. Ich hab Schiss!
    Egal. 16.25 Uhr. Mist, sie würde es nicht rechtzeitig schaffen. Es sei denn …
    Hektisch schaute sie sich im Tauchlager um und entdeckte schließlich, was sie suchte. Hoffentlich war da noch Saft drauf. Keine Zeit, keine Zeit! Mit der einen Hand zog sie die Doppelflaschen Sauerstoff hinter sich her, mit der anderen den Tauchscooter »Big Daddy«, eine große, mit Unterwasserpropeller ausgestattete Zigarre. Eine Weiterentwicklung des Schiffstorpedos. Er lief mit Akku und war ziemlich schnell. Sie zerrte die Dinger hinter sich her, und genau um 16.27 Uhr brüllte sie den Bullen an: »Aus dem Weg!«
    16.28 Uhr, vor dem Parlament
    Lázlo keuchte. Seitenstechen brannte in seinen Flanken, der Kopf hämmerte ein Schlagzeugsolo nach dem anderen. Er war so schnell gerannt, wie selten in seinem Leben. Vielleicht noch nie. Immer wieder hatte er versucht, per Handy den Kommissar zu erreichen – erfolglos. Was nutzte die ganze scheiß Technik, wenn sie im entscheidenden Moment versagte? Noch einmal atmete er tief ein, hielt sich die Seiten und dachte an Lena. Mittlerweile musste sie schon den Tauchern Bescheid gegeben haben. Würden sie es schaffen? Dann ließ er seinen Blick über das Parlament gleiten. Beeindruckend wie immer. Nachts war es zwar noch schöner, dann leuchtete der weiße Bau im Dunkeln wie ein Märchenschloss, aber auch tagsüber wirkte es noch imposant genug. Von seiner Mutter kannte er die Daten bis zum Überdruss: 1885 bis 1904 im neogotischen Stil erbaut, 270 Meter lang, 120 Meter breit und fast 100 Meter hoch, wenn man die dachziegelrote Kuppel mitrechnete – das größte Parlamentsgebäude Europas. 691 Räume, alle mit Gold, Stofftapeten und Gemälden geschmückt, Tausende von Fenstern, unzählige Türmchen und Pfeiler, eine wahrhaft spielerische Mischung aus Schloss, Kirche und Burg. Traumhaft schön. Und, wenn die Bomben erst einmal gelegt waren, extrem einsturzgefährdet.
    Lázlo nutzte die Menge der Feiernden als Sichtschutz und prüfte die Eingänge. Verflucht – sie waren schon da. Um jede der Pforten und Türen drängten sich Soldaten der Schwarzen Armee. Dort würde er nie hineinkommen. Unauffällig und unüberwindbar zugleich

Weitere Kostenlose Bücher