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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Gesicht von Schmerzen verzerrt. »Welcher Tag ist heute?«
    »Stephanstag.«
    »Und … wie spät?«
    »Kurz nach halb sechs.«
    Frosch stöhnte auf. »Dann«, sagte er, »sind jetzt im Gellért-Bad alle tot.«
    »Was … was redest du da, Junge?«
    »Und in eineinhalb Stunden«, fügte Frosch leise hinzu, »fliegt das Parlament in die Luft.«
    17.45 Uhr, Parlament
    Der Anzug juckte. Die Plastikhandschuhe klebten in der Hitze an seinen Fingern und die breite Schutzbrille drückte auf seine Nase. Die weiße Haube schützte seine Haare, sodass wenigstens die nicht seine Stirn kitzelten. Vorsichtig machte Janosch einen Schritt vorwärts.
    »Sei bloß vorsichtig«, mahnte István. »Holló hat gesagt, das Zeug ist supergefährlich.«
    »Ein Kontaktgift«, dozierte Janosch und machte noch einen Schritt – den letzten. Er stand im Herzen von Budapest, im Herzen von Ungarn. Und hier, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, ruhte das Herz im Herzen: Die Szent Korona. Die Stephanskrone * . Janoschs Preis für die letzte Prüfung. Sein Triumph. Auf einem roten Samtkissen strahlte die goldene Krone, jahrhundertealt, mit Emailplatten und Edelsteinen verziert, nur durch einen Glaskasten getrennt von ihm.
    Panzerglas natürlich.
    »Sie ist wunderschön«, hauchte István. »Nicht wahr?« Er drückte seine Nase gegen das Glas. Die heilige Krone bestand aus einem goldenen Reif, über dem sich ebenfalls goldene Bügel spannten. Und auf ihnen, dort, wo sie sich trafen, erhob sich das berühmte schräg stehende Kreuz.
    »Ist sie«, sagte Janosch und legte den Mundschutz an. Nun klang seine Stimme gedämpft. »Und jetzt geh da weg, wenn du nicht willst, dass deine Nase abfällt.«
    István schreckte zurück, als Lázlo vorsichtig die Plastikflasche aufschraubte, einen Pinsel hineintunkte und die Flüssigkeit achtsam kreisförmig auf der Glasscheibe verteilte. Panzerglas, unzerstörbar, ja mit einem Hammer hatte man keine Chance. Vielleicht funktionierte ein Schweißbrenner. Oder ein Panzer. Ganz sicher aber funktionierte Flusssäure, HF, wie die Chemiker sie buchstabierten, eine Verbindung aus Fluor und Wasserstoff. Äußerst ätzendes Zeug. Brannte sich durch die Haut wie nichts, ging einfach durch bis zum Knochen und tropfte auf der anderen Seite wieder raus. War gegen Plastik machtlos, zerstörte aber Glas. Auch Panzerglas.
    Hoch konzentriert pinselte Janosch, dann schraubte er die Säureflasche wieder zu und entsorgte den Pinsel vorsichtig in einer leeren Flasche. Aus Plastik. Jetzt mussten sie warten. Ein Schweißtropfen brannte in Janoschs Augen, als er sich umsah, aber er traute sich nicht die Schutzbrille abzunehmen. Sie standen im Kuppelsaal, dem Zentrum des gesamten Gebäudes. Fast hundert Meter über ihnen wölbte sich das Kuppeldach, die kreisrunde Halle wurde von goldverschnörkelten Pfeilern gestützt. Genau in der Mitte – rote Teppiche führten auf sie zu – strahlten die ungarischen Krönungsinsignien. Natürlich wurden sie normalerweise bewacht, aber um die Sicherheitsmänner hatten sich André, seine Jungs und ein paar Baseballschläger gekümmert. Die waren jetzt gefesselt und geknebelt und würden Punkt 19.00 Uhr ganz andere Probleme haben. Friede ihrer Seele. Janosch grinste. Er würde es sein, der die heilige Krone dem Raben übergab. Er würde endgültig beweisen, dass er der Wichtigste in der Fekete Sereg war. Holló würde ihm zunicken, ihn ehren, ihn zu seinem Thronfolger ernennen. Janosch blinzelte wieder und dachte an den Tag zurück, jenen besonderen, alles verändernden Tag, an dem Holló ihn unter der Freiheitsbrücke liegend gefunden hatte. Frierend, hungernd und allein. Verloren. Holló hatte ihn gerettet, ihn aufgenommen und ernährt. Janosch würde diesen Mann niemals enttäuschen. Viele Jahre war das her, aber er erinnerte sich immer noch deutlich an das Gesicht, das sich über ihn beugte, als er im Straßendreck lag. Freundliche Augen. Ein warmherziges Lächeln, das Janoschs Angst mit einem Windhauch fortspülte. O ja, Janosch kannte sein Gesicht. Als Einziger in der Schwarzen Armee.
    »Hammer«, sagte er endlich und ließ sich von István das Werkzeug in die Hand drücken. Vorsichtig klopfte er an das Glas: Er durfte nicht zu viel Gewalt anwenden, denn einen Splitter im Arm konnte er nicht brauchen. Er schlug halbherzig zu, aber sofort zeigten sich Risse. Die Scheibe bröckelte. »Es funktioniert!«, jubelte Janosch hinter dem Mundschutz. Bald gehörte die heilige Krone ihm.
    17.55 Uhr, vor dem

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