Blutrubin Trilogie - Band 3: Das Vermächtnis (German Edition)
Irre zu führen. Nach einigen Stunden war ich mir sicher, dass ich sie abgehängt hatte und dann bin ich sofort hierher gekommen.« Er stürzte den Rest Whisky hinunter und seufzte. Wir anderen sahen uns an und eine bedrückende Stille erfüllte den Raum. Erst nach über einer Minute brach James das Schweigen.
»Wo sind die anderen Schattenwächter und was genau hast du noch herausgefunden?«
»Anscheinend hat Evelyn ihr Versteck am Loch Urigill, aber wo genau, weiß ich leider nicht. Da sie jetzt über das Blut der anderen Schattenwächter verfügt, ist sie nicht mehr auf den Schutz von Höhlen angewiesen. Wie es aussieht, ist sie dabei, den Blutrubin zu manifestieren, was sehr kompliziert und zeitaufwendig ist, wenn es von jemandem versucht wird, der kein Schattenwächter ist.«
»Aber sie hat doch vier Schattenwächter in ihrer Gewalt. Was, wenn Evelyn einen von ihnen zwingt, diese Arbeit für sie zu tun?«, warf ich ein. Mein Vater schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Keiner meiner Brüder würde das tun. Lieber würden sie sterben als Evelyn dabei zu helfen, einen mächtigen Blutrubin zu erschaffen«, erklärte er mit fester Stimme.
»Wie lange dauert es, wenn sie keine Hilfe von einem Schattenwächter hat?«, erkundigte sich James.
»Mehrere Tage. Es kommt darauf an, welche Magie sie zur Verfügung hat. Wenn ihr eine, oder mehrere Hexen zur Seite stehen, wird es schneller gehen, als wenn sie es alleine versucht.«
»Ich bin mir sicher, dass sie für genügend Hilfe gesorgt hat«, sagte Sille spöttisch.
»Und was weißt du sonst noch?«, fragte ich.
»Ich glaube zu wissen, wann Evelyn die Quelle der Macht von ihrem Fluch befreien will. Der Felsen der Gerechtigkeit zeigt sich nämlich nur bei Vollmond. Nur dann gibt er sich zu erkennen.« Er sah bedeutungsvoll in die Runde und fügte hinzu: »Der nächste Vollmond ist ...«
»Am Freitag«, ergänzte James. Als sich unsere Blicke trafen, sah ich die Angst in seinen Augen. Evelyn würde also am Freitag zum Felsen der Gerechtigkeit gehen und ihr kleines Ritual durchführen. Das war auch der Tag, an dem mein Countdown endete. James hastete zu einer Kommode und zog die oberste Schublade auf.
Ich reckte den Hals, um zu erfahren, was sich darin befand, konnte aber nur einige Papierrollen erkennen. Er nahm eine davon und rollte sie auf, dann breitete er die Landkarte vor sich aus.
»Dachte ich es mir doch«, murmelte er, während sein Finger langsam über die Karte fuhr.
»Was ist?«, fragte Balthasar, der sich mittlerweile zu James gesellt hatte. Auch wir anderen traten jetzt näher und beäugten neugierig die Landkarte. James sah auf.
»Sie hat Loch Urigill nicht ohne Grund als Versteck gewählt«, erklärte er und nahm ein Lineal aus der Schublade. Er legte es auf die Karte und ich konnte erkennen, wie sich seine Lippen lautlos bewegten.
»Jetzt sag schon, was du gefunden hast?«, forderte ihn Sille auf, der die Anspannung förmlich ins Gesicht geschrieben stand. James holte tief Luft und sagte:
»Loch Urigill liegt nur etwa fünf Kilometer von Loch Ailsh entfernt. Das bedeutet, sie befindet sich schon jetzt in unmittelbarer Nähe zum Felsen der Gerechtigkeit.«
»Dann besteht also kein Zweifel mehr daran, dass sie schon bald das Ritual durchführen wird«, seufzte Sille.
Ich ließ den Blick über all meine Freunde schweifen und spürte plötzlich eine derartige Traurigkeit in mir, dass ich kaum noch atmen konnte.
Mit einem Mal wurde mir ganz flau im Magen und ich musste mich setzen. Schlagartig war mir nämlich klar, dass ich eine Entscheidung treffen musste.
Wie hatte ich nur die ganze Zeit so egoistisch sein können? Ich hatte nur daran gedacht meinen Hals aus der Schlinge zu ziehen und ganz vergessen, in welche Gefahr ich all meine Freunde brachte. Und nicht nur das. Ich hatte auch mein Wohl über das aller anderen gestellt. Wer war ich denn? Evelyn war dabei etwas zu tun, das die ganze Welt verändern würde und ich hatte nur meine Sorgen im Kopf.
Sollte es ihr gelingen die Quelle des Bösen zu befreien, wäre die Welt nicht mehr das, was sie jetzt war. Es würde Finsternis herrschen und undenkbare Grausamkeit. Konnte ich das zulassen?
Würde ich in einer solchen Welt leben wollen, in der wir immer auf der Flucht sein müssten? Natürlich wäre es ein Leben mit James, aber um welchen Preis? Ich würde all die Menschen in Gefahr bringen, die ich liebte und womöglich zusehen müssen, wie viele von ihnen starben.
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