Blutsäufer (German Edition)
Und – wie
von ihm vorausgesehen – stemmte sich etwas gegen ihn.
Das bist du selbst!
Das Laken glitt von seinen Hüften. Er ließ es
auf dem Boden liegen.
Er stand in der Tür und starrte auf die
Straße. Die Straße war mehr ein Weg. Keine Bürgersteige. Büsche zu beiden
Seiten, die sich anschickten, die Straße zu überwuchern, sie in ihren Besitz zu
nehmen.
Er dachte an die vergangene Nacht zurück, an
die Augen der Gräfin, die ganz tief in ihn hineingeschaut hatten. Hatte sie ihn
tatsächlich hypnotisiert? Wenn ja, dann existierte die Barriere nur für ihn und
niemand anderen.
Franz schloss die Tür, hob das Laken auf und
kehrte ins Schlafzimmer zurück. Er wollte das Laken aufs Bett werfen, aber es
fiel vor das Bett auf den Teppich.
Nicht mal das gelingt dir mehr, dachte er.
Er bückte sich, griff danach, stutzte und
legte sich schließlich auf den Boden.
Unter dem Bett hatte er etwas entdeckt. Er
streckte den Arm aus, es war staubig. Elisabeth schien es beim Saubermachen
nicht so genau zu nehmen mit den Stellen, die man nicht sehen konnte.
Vielleicht war das ein Glück für ihn. Er zog die Hand mit dem Gegenstand
heraus. Es war ein Portemonnaie.
Franz klappte das Portemonnaie auf, inspizierte
die Seitenfächer. Im vorderen Seitenfach steckten mehrere hundert Euro, im
hinteren Visitenkarten, zusammengefaltete Quittungen, Mitgliedskarten für
irgendwelche Clubs …
Er fand einen Personalausweis. Den schaute er
sich genauer an. Er las den Namen: „Ulrich Hussing.“ War ein paar Jahre jünger
als er, Mitte zwanzig. Auf dem Foto grinste ihn ein unsympathischer Typ
herablassend an.
Franz setzte sich aufs Bett und dachte nach.
Wer war Ulrich Hussing? Warum hatte seine
Geldbörse unter diesem Bett gelegen?
Seine Antwort: Ulrich Hussing war dein
Vorgänger. Er schlief in diesem Bett, bevor du in diesem Bett geschlafen hast. Er
hatte Wundmale an seinem Hals, bevor du …
Plötzlich fiel ihm wieder ein, was die Gräfin
vergangene Nacht zu ihm gesagt hatte:
Du sollst dich wohlfühlen in meinem Haus,
solange ich deiner bedarf.
Ulli hatte sie anscheinend bereits ausgemustert.
Wie lange würde sie seiner noch
bedürfen? Gab es ein Verfallsdatum wie bei Lebensmitteln, weil sein Blut, von
dem sie täglich (nächtlich) ein paar Tropfen brauchte, nach einer gewissen Zeit
schlecht wurde? Und was wurde aus denen, derer sie nicht mehr bedurfte? Durfte
man nach treu geleisteten Blutdiensten nach Hause gehen oder schnitt sie einem
dann einfach die Kehle durch und verscharrte den Leichnam …
Wo?
Im Keller?
Frag sie doch heute Nacht!
Ja, dachte er, das werde ich, ich werde sie
heute Nacht fragen.
Er steckte den Personalausweis gerade zurück
ins Portemonnaie, als es an der Tür klingelte.
Es kam ihm seltsam vor, dass jemand an dieser Tür klingelte. An Türen wie diesen wird nicht geklingelt, dachte er.
Klingelten Zeitschriftenwerber bei Vampiren?
Oder war es nur die gute Elisabeth, die vor der Tür stand, weil sie ihren
Schlüssel vergessen hatte?
Oder der Fürst der Vampire, der auf der
Durchreise seine Untertanen abflog, um sie zu kontrollieren?
Mach keine blöden Witze!
Vielleicht sollte er das Klingeln besser
ignorieren.
Vielleicht …
Er blieb untätig auf seinem Bett sitzen,
nackt, der Pimmel ganz klein vor Angst, als sich das Klingeln wiederholte.
Egal, dachte er.
Langsam erhob er sich.
Noch langsamer ging er zur Tür, um zu öffnen.
8
Karla
stand vor dem alten Haus und drückte den Klingelknopf. Sie wog ihr langes
Messer in der Hand. Es fühlte sich gut zwischen ihren kurzen Fingern an.
So ein Messer in der Hand strahlt irgendwie
Sicherheit aus, dachte sie. Wahrscheinlich, weil sich andere Menschen etwas unsicher fühlen, wenn man ihnen eine scharfe, spitze Klinge unter die Nase
hält.
Oder nennt man das Macht?
Sie kicherte.
Sie kicherte noch mehr, als sie sich
vorstellte, wie sie einem tatterigen alten Opa auf dem Weg zum Friedhof ihr
Messer an den faltigen Hals drückte. Würde sie natürlich nie tun. Und wenn,
dann nur zum Spaß. Sie war ja kein Unmensch.
Bin doch nicht verrückt, dachte sie, und
kicherte wieder. Bin bloß nervös. Ein ängstliches kleines Mädchen, das ihren
Prinzen befreien will, bin ich. Wie in einem alten Märchen, nur dass es da
meist umgekehrt war. Waren eben andere Zeiten ohne Gleichberechtigung und
Frauenbewegung. Damals durften Frauen ja fast gar nichts. Durften nicht wählen,
ohne Einwilligung des Ehemanns nicht arbeiten und eben auch keine
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