Blutsäufer (German Edition)
der
keine Gnade kannte (und auf den sein mörderischster Schrei erfolgt war), die
Hand wieder in ihre richtige Lage gebracht.
„Du Mädchen sein“, hatte sie im Anschluss
gesagt und war in die Dienstbotenküche geeilt.
Die Dienstbotenküche war gleichzeitig die einzige;
eine weitere Küche für möglicherweise hohe oder höhere Herrschaften gab es
nicht. Er musste es wissen, er hatte heute Morgen das ganze Haus inspiziert,
allenfalls den Keller hatte er ausgelassen.
In den Keller hatte er sich nicht getraut.
Weil „Du Mädchen sein“, wie Elisabeth es wohl
wiederum kommentiert hätte.
Das Haus fand er bei seiner Begehung in einem
ziemlich heruntergekommenen Zustand vor. An den Wänden hatte sich überall
Schimmel gebildet. Die Teppiche waren verblichen und die Parkettböden wiesen
Risse und Kratzer auf. Oben gab es drei Zimmer, die allesamt leer waren, das
heißt, bis auf eines, in dem altes Gerümpel herumlag. Unten gab es, wie schon
erwähnt, die sogenannte Dienstbotenküche, dann noch eine Art Wohnzimmer, in dem
außer einem langen Tisch mit zehn Stühlen – vier an jeder Seite und jeweils
einer an den Kopfseiten – ein Bücherregal an der rückwärtigen Wand stand. Ein
Badezimmer mit Klo, das ihm fortan den leidigen Nachttopf ersparen sollte, fand
er auch, allerdings wies das Waschbecken Sprünge auf und die Spülung der
Toilette lief den ganzen Tag. Sein Schlafzimmer war von allen Räumen
noch im besten Zustand.
Er fragte sich, wo die Gräfin wohl schlief
oder ob sie überhaupt je schlief.
Schlafen Vampire tagsüber in einem Sarg –
oder war das nur eine Legende?
Die Gräfin war seit der vergangenen Nacht nicht
wieder erschienen – oder er hatte bei ihrer Ankunft geschlafen und sie war …
wo?
Vielleicht im Keller, dachte er.
Später war Elisabeth einkaufen gegangen,
falls mit „Ich holen!“ einkaufen gemeint gewesen sein sollte.
Er hatte sich noch gewundert, dass man ihn
überhaupt alleinließ. Schon heute Morgen, nachdem er aufgestanden war (oder
heute Nacht, aber nach der körperlichen Auseinandersetzung mit der Gräfin war
er zu nichts mehr fähig gewesen), hätte er einfach aus dem Haus marschieren
können. Schließlich war er nicht mehr ans Bett gekettet.
In der Erinnerung daran rieb er sich die
Handgelenke und verzog das Gesicht. Sein lädiertes Handgelenk schmerzte immer
noch höllisch, wenn er es berührte, eingerenkt oder nicht.
Dann war er zur Haustür gegangen. Und als er
zur Haustür gegangen war und sie öffnen wollte, war ihm aufgefallen, dass er
wie Adam aus der Bibel oder wie frisch von Gott geschaffen immer noch nackt durch
die Welt tapste. Seine Klamotten hatte ihm bisher keiner zurückgegeben und bei
seiner Hauserkundung, bei der er in einige Schränke gesehen hatte, hatte er sie
nicht entdeckt.
Wo mochte das Haus stehen? Da die
Fensterläden überall geschlossen waren und jedes einzelne Fenster über eine
Schließvorrichtung verfügte – davor zusätzlich noch ein Gitter –, war ihm ein
Blick nach draußen bislang verwehrt geblieben. Er sah es zwar als wenig
wahrscheinlich an, aber es war nicht ganz auszuschließen, dass sich das Haus in
einer belebten Straße befand.
Aber dann hätte ich Straßenlärm hören müssen,
selbst bei geschlossenen Fensterläden.
Außerdem kann es dir doch gleichgültig sein,
wenn dich jemand nackt sieht, dachte er. Hauptsache, du kommst in Sicherheit.
Doch es war ihm nicht gleichgültig, wie er
sich eingestehen musste.
Er ging zurück in sein Schlafzimmer,
zog das Laken ab, legte es zweimal zusammen und hängte es sich um die Hüften.
Dann ging er zur Tür. Er öffnete die Tür und …
… starrte hinaus.
Was hatte er gewollt?
Nach zwei Schritten rückwärts in den Flur
fiel es ihm wieder ein.
Erneuter Versuch.
Er kam bis zum Türrahmen und blieb wie
angewurzelt stehen. Vor ihm war etwas, eine unsichtbare Mauer, eine Mauer, die vielleicht
nur für ihn existierte.
Sein Arm mit dem gesunden Handgelenk bewegte
sich vor. Die Hand kam nicht weit. Seine Fingerspitzen stießen gegen einen
Widerstand. Er hätte nicht einmal beschreiben können, wie es sich anfühlte. Es
war nicht wie Glas, wie eine Mauer aus Stein oder ein Holzzaun. Es war weder
weich noch hart, weder glatt noch porös. Es war – anders . Und es war
nicht einfach da wie ein toter Gegenstand; es schien lebendig zu sein. Es war,
als würde es sich wehren.
Er kam auf die Idee, sich mit der Schulter
dagegen zu stemmen, ohne darauf zu hoffen, damit erfolgreicher zu sein.
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