Blutsäufer (German Edition)
halben
Kopf größer als er. André hatte auf allen Bildern einen grimmigen, ernsten
Blick und das Kinn immer ein Stück zu hoch gereckt. Magdalena schien bei jeder
Aufnahme quietschvergnügt gewesen zu sein, auf dem einen oder anderen Bild zog
sie sogar eine Grimasse oder streckte die Zunge raus oder verdrehte die Augen.
Bernstein setzte sich wieder hin.
„Hab mir gerade die Bilder angesehen“, sagte
er, als Magdalena mit zwei Flaschen Bier wiederkam.
„Brauchst du ein Glas?“
„Nein, danke.“ Die Flaschen waren bereits
geöffnet. Er stieß mit ihr an. Sie tranken gleichzeitig. Als er seine Flasche
absetzte, trank sie immer noch. Sie trank so lange, bis die Flasche leer war.
Er versuchte, nicht verblüfft auszusehen. Sie rülpste durchdringend und hielt
sich danach eine Hand vor den Mund.
Anschließend fragte sie ihn, ob er mal ihren
Tsuki sehen wolle. Er verstand erst nicht. Sie machte vom Sofa aus eine Schlagbewegung
durch die Luft. Aha, dachte er, so eine Art rechte Gerade von der Hüfte aus.
Einer von den Schlägen, die ihrem André auf dem dunklen Hinterhof nicht
geholfen hatten.
„Ach, ein Tsuki, na klar“, sagte er, „hast ein
bisschen genuschelt, darum …“
„War eben in Zeitlupe. Steh mal auf!“ Sie
erhob sich von der Couch, Bernstein stand auch auf und stand ziemlich verloren
da. Was sollte das denn jetzt? „Du kennst dich ja bestimmt damit aus. André
meinte immer, dass meine Hüftbewegung nicht knackig genug wär und deshalb meine
Schläge wenig Kraft übertragen würden. Weiß nicht, ob ich das jetzt so ganz
richtig wiedergegeben habe, aber – achte doch mal auf meine Hüfte.“
Bernstein achtete auf ihre Hüfte. Magdalena
stellte sich ihm gegenüber. Das vordere Bein hatte sie angewinkelt, das hintere
durchgedrückt, eine Faust an der zu kontrollierenden Hüfte. Sie pustete eine
Haarsträhne nach oben und hatte sie gleich wieder im Gesicht. Sie konzentrierte
sich. Plötzlich fing sie an zu schreien und mit dem Schrei schnellte ihre Faust
auf ihn zu. Er sah sie direkt auf sein linkes Auge zukommen, sie wurde größer
und größer, zwei Knöchel wurden riesengroß! Dass sie sich im letzten Moment um
hundertachtzig Grad drehte, die Faust, sah er nicht mehr.
Frontaler Einschlag! Er wankte zurück.
Optimale Kraftübertragung, das spürte er
gleich!
„Oh, Mist!“, rief sie.
Bernstein hielt sich das Auge. Um nicht
hinzufallen, stützte er sich an einer Sessellehne ab. Hatte wehgetan. Mehr als
das. Er unterdrückte ein Stöhnen und gab ein nicht eingeplantes Grunzen von
sich.
„Tut mir echt leid, Peter! Mit dem Abstoppen
klappt es bei mir leider nicht immer so. André hat immer gesagt …“
Der Privatdetektiv ließ sich in den Sessel
fallen. Was André immer gesagt hatte, würde er in diesem Leben nicht mehr
erfahren, denn die Worte rauschten ungehört an ihm vorbei.
„Schwillt es schon an?“, fragte er.
„Kann nichts sehen, wenn du die Hand
davorhältst. Soll ich dir einen Eisbeutel …?“
Bernstein nahm die Hand weg.
„Na ja, so richtig dick ist es noch nicht
geworden, aber bisschen grün und blau. Ich hol besser schon mal Eiswürfel aus
dem Kühlschrank.“
„Nee“, murrte Bernstein, „ich muss gleich
noch weg. Ich muss observieren.“
„Tut mir wirklich, wirklich leid, Peter!
Trink mal noch ein Bier, ehe du gehst. So kannst du doch jetzt nicht gehen. Ich
meine, mit welchem Eindruck von mir gehst du denn, wenn du jetzt gehst? Wir
haben uns auch noch gar nicht richtig kennengelernt. Erzähl doch mal was von
dir. Erzähl mir was von deinem Beruf, von dem Fall, an dem du dran bist.“
Bernstein war schwummrig. Zum Glück saß er
gut. War besser, wenn er die nächste halbe Stunde auf seinem Platz hocken
blieb, statt wie ein Betrunkener zur Tür zu torkeln. Sie würde ihn sonst für
einen Mann halten, der nichts einstecken konnte. Wollte er vermeiden, dass man
ihn für so einen Mann hielt. Frauen plappern ja ständig und erzählen ihren
Freundinnen alles bis in jede Einzelheit, dachte er, und bei Facebook ist sie
bestimmt auch. Morgen weiß es die ganze Stadt, wenn sie einmal vor die Tür
geht, um frische Luft zu schnappen, und bei Facebook werden mindestens
zweihundert Freunde ihr Erlebnis liken . Scheiß Internet. Hielt er
gar nichts von.
„Mach dir keine Gedanken, Magdalena, ich bin
das gewohnt, von Berufs wegen sozusagen.“
Tatsächlich wurde er in den fünf Jahren, die
er als Detektiv arbeitete, lediglich ein einziges Mal tätlich angegriffen. Er
hatte
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