Blutsäufer (German Edition)
hob sie wieder auf, sie war kaum
einen halben Meter weitergerollt, vorn war etwas von dem Plastik abgesplittert,
doch ihr Licht brannte noch. Er hielt sie in den Raum.
Das Monster mit den Klauenhänden hatte sich
in der Zwischenzeit ein Stück auf den Gang zubewegt. Es kam nur mühsam voran
wie eine altersschwache Robbe.
Eine altersschwache Robbe, die nun fürchterlich
zu brüllen anfing.
Franz wich zurück und stieß gegen den
Detektiv. Der hatte sich auf alle Viere erhoben. Als er das Gebrüll hörte,
sprang er trotz seiner Verletzungen auf.
„Wir müssen die Ketten wieder anbringen. Und
die Schlösser“, rief Franz ihm zu.
Er wurde nicht gehört.
Der Privatdetektiv hatte plötzlich seine
Wumme in der Hand. Er richtete sie auf das Monster am Boden und schoss. Er
schoss, bis das Magazin leer und jede Kugel im zuckenden Rücken des Monstrums
eingeschlagen war. Dessen ungeachtet robbte das Monstrum unbeirrt weiter,
brüllte es unbeirrt weiter, die Kugeln konnten es nicht stoppen.
Der Mann wankte nach seinem erfolglosen
Versuch, die Kreatur zu töten, ins Dunkel und schrammte an der Wand entlang. Nachfolgend
hallten seine Schritte durch den Keller, und in seiner Panik schrie er immer
wieder: „Ogottogottogott! Ogottogottogott!“
Schreie wie Schritte wurden leiser, bis sie
ganz fern waren.
Bis Franz sie nicht mehr hören konnte.
20
Bernstein
rannte in den Wald. Im Wald konnte er sich verstecken. Im Wald gab es viele
Bäume, da würde ihn niemand finden. Niemand – auch kein Monster mit
Klauenhänden! Dass es nachts im Wald finster war, auch bei Vollmond, und sich
jeder an ihn heranschleichen konnte, ohne von ihm bemerkt zu werden, darauf kam
er erst, als er Halt machte.
Er hechelte wie ein gejagter Hund. Als er
sich ein Stück vorbewegte, knackte ein trockener Zweig unter seinen alten
Halbschuhen. Wie ein Herzkranker griff er sich an die Brust. Den Kopf legte er
in den Nacken. Wirkte theatralisch. Sein einziges Publikum war der Vollmond
oben am Himmel.
Nein, heute war noch nicht Vollmond. Morgen
oder so, dachte er.
Bernsteins Blick fiel auf eine Baumkrone.
Hoch oben an deren Spitze, wie ein Stern auf einem Weihnachtsbaum, stand eine
Gestalt im fahlen Licht des Mondes. Kerzengerade, die Arme dem Mond entgegen gereckt.
Es war die Frau, die dieser Franz die Gräfin
genannt hatte. Die angeblich ein Vampir war und in dem Sarg schlief, den er
vorhin im Keller der unheimlichen alten Bruchbude geöffnet hatte.
Die Frau war splitterfasernackt. Ohne seine
Verletzungen und sein Wissen darüber, wer sie war, hätte er ihre Schönheit
bewundert, den Anblick genossen. Vielleicht hätte er sogar ein bisschen an sich
rumgespielt.
Zurzeit hatte er jedoch genug damit zu tun,
seine Atmung unter Kontrolle zu bringen und mit seinen Händen die Tiefe der
Wunden an seinem Rücken zu erkunden. Es gestaltete sich als schwierig, er
musste sich anfangs an den Schmerz gewöhnen, den er sich selber mit jeder
Berührung zufügte. An der linken Gesäßbacke waren die Schnitte am tiefsten
eingedrungen, stellte er fest und folgte ihnen bis zur Nierengegend. Sein
Mantel und die Kleidung darunter waren an diesen Stellen und bis hinauf zum
Rücken in Fetzen gerissen.
Nachdem sich seine Atmung normalisiert hatte,
ging sein Blick erneut nach oben. Ihm kam der naheliegende Gedanke, dass die
Frau mit der Kreatur, die ihn attackiert hatte, in Verbindung stand, und die
Frage, wie sie sich an der Spitze der Baumkrone halten konnte, begann ihn zu
beschäftigen und in seiner Vermutung zu bestätigen. Beide schienen nicht von
dieser Welt zu sein. Beide waren gefährlich. Womöglich war er mit seiner Flucht
aus dem Keller, die ihn in den Wald und gerade unter diesen Baum geführt hatte,
vom Regen in die Traufe geraten.
Sie darf dich nicht entdecken!
Die Arme der Frau bewegten sich jetzt, die
Hände trafen sich über ihrem Kopf, legten sich akkurat aneinander.
Betete sie?
Betete sie auf diese seltsame Art und Weise den
Mond an?
Es wirkte auf ihn, als würde sie beten.
Du musst raus aus diesem Wald, Bernstein, dachte
Bernstein, und zwar schnell! Wieso bist du eigentlich nicht in den Waldweg
gelaufen, in dem du deinen Wagen gelassen hast, du blödsinniger Schwachkopf?
Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Wie
konnte man so dumm sein? Wie konnte er so dumm sein?
Wie auch immer, dachte er, du musst hier weg.
Er sah sich um.
Bäume, Bäume, nichts als Bäume. Und wo keine
Bäume waren, waren Büsche, nutzlose Sträucher,
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