Blutsauger
darum, dass ich Angst habe. Angst nicht um mich – verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Sondern um einige Personen in der Klinik und um …«
Häberle wartete geduldig ein paar Sekunden, doch Lena war sich offenbar unsicher, ob sie es aussprechen sollte.
»Um wen?«
»Um Max Frenzel, wohnt in Türkheim.«
»Ist auch bekannt. Ein junger Mann, Medizinstudent«, zeigte sich Häberle informiert.
»Richtig. Ich war – das müssen Sie wissen – vor einigen Monaten Praktikantin in der Klinik. Und der Max, also der Herr Frenzel, er war Zivi. Zivildienstleistender. Wir haben beide ein paar Dinge gehört, denen wir keine Bedeutung beigemessen haben. Klatsch und Tratsch, haben wir gedacht. Aber nachdem wir erfahren haben, was jetzt geschehen ist, da kommt uns einiges etwas merkwürdig vor.«
»Ihnen beiden?«, staunte Häberle. Er musste an Frenzels Aussage denken, von der ihm nur der verlorene Autoschlüssel in Erinnerung geblieben war.
»Na ja – die Anja Kastel, die jetzt auch tot ist, hat halt so Andeutungen gemacht, dass wohl einige Dinge laufen, die mit irgendwelchen Forschungssachen zu tun hätten, die Dr. Brugger beträfen. Und erst … ja, erst später hab ich rausgekriegt, dass wohl auch mein Vater etwas damit zu tun hatte.«
Häberle spürte Schweiß auf der Stirn. Er musste in fünf Minuten weg. »Entschuldigen Sie«, unterbrach er Lena, »ich bin praktisch schon auf dem Weg nach Gran Canaria. Mein Flieger geht morgen früh. Wann können wir uns treffen?«
»Wie? Sie kommen? Hierher?«
»Ja, morgen um die Mittagszeit bin ich dort. Dann können wir unser Gespräch in Ruhe fortsetzen. Bitte nennen Sie mir Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer. Jetzt sollten Sie mir aber auch sagen, warum Herr Frenzel in Gefahr ist – und wer noch.«
Lena schwieg, während Häberle den Sekundenzeiger seiner Uhr beobachtete. »Bitte nennen Sie mir Konkretes, damit wir das Nötige in die Wege leiten können.«
»Eigentlich … eigentlich geht’s mir insbesondere um Max. Er hat den … ja, den Ärzten einmal einen Gefallen getan und Kurier gespielt.«
»Kurier?«, staunte Häberle und wusste sofort, was damit gemeint sein konnte.
»Ja. Irgendeine Kühlbox hat er transportiert. Als er in sein Naturschutzzentrum gefahren ist.«
»Nach Laichingen, stimmt’s?« Häberle machte sich Notizen.
»Laichingen, ja. Sie sind also schon informiert?«
»Nicht ganz. Und Sie haben nun Angst, Max könnte ein gefährlicher Mitwisser sein?«
»Ja. Ich hab Angst um ihn. Sie haben meinen Vater umgebracht, die Anja und jetzt den Dr. Brugger.«
Häberle ließ ihr ein paar Sekunden Zeit. Ihm fiel plötzlich ein, dass Lena vermutlich in den nächsten Tagen zur Beerdigung ihres Vaters nach Deutschland kommen würde. Zuvor müsste aber die Staatsanwaltschaft die Leiche freigeben.
»Darf ich jetzt um Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer bitten, damit ich Sie morgen treffen kann?«, fragte Häberle nach.
Lena nannte sie ohne zu zögern. Häberle hatte sich bereits bedankt und wollte das Gespräch beenden, als sie im Flüsterton etwas loswerden wollte: »Ich sag Ihnen, Herr Kommissar, da laufen Dinge, die Sie sich vermutlich gar nicht vorstellen können. Auch Sie sollten sich in Acht nehmen.« Häberle wollte etwas Abschließendes sagen, doch ihre Stimme meldete sich ein weiteres Mal: »Glauben Sie bloß nicht, das seien nur die sogenannten kleinen Leute, mit denen Sie’s zu tun haben. Da stecken Leute dahinter, denen würden Sie’s zuletzt zutrauen.«
»Wir werden morgen um die Mittagszeit ausführlich drüber reden. Und die Sache mit Max …, wir werfen ein Auge auf ihn.«
»Ich hoffe, wir sehen uns«, kam es zurück. Allerdings hatte der Tonfall etwas Beunruhigendes an sich, befand Häberle.
Kerstin saß wie zu Eis erstarrt hinterm Steuer. Der Motor schnurrte, als ein hünenhafter Mann die beiden Lichtkegel ihres Golfs querte und zügig zur Fahrerseite kam. Kerstin, deren Gesicht durch die Scheinwerfer des rechts von ihr stehenden Autos angestrahlt wurde, entschied, nicht wegzufahren. Schließlich war es nicht mitten in der Nacht und sie stand in der Nähe eines landwirtschaftlichen Gehöfts.
Als sich der Mann zu ihr herabbückte und sie in ein zerfurchtes Gesicht blickte, das ebenfalls von den Lichtern seines Autos erhellt wurde, griff Kerstin zur Kurbel der Seitenscheibe, um sie einen Spalt weit zu öffnen.
»He, Mädle«, hörte sie eine raue Stimme sagen, während sich das Gesicht hinter der Scheibe zu einem
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