Blutsauger
Lächeln verzog. »A bissle schnell um die Ecke gebraust, was?« Der schwäbische Dialekt war unüberhörbar.
Kerstin fühlte sich von derlei Anmache wenig beeindruckt. »Von schnell kann ja wohl keine Rede sein – bei diesen Straßenverhältnissen«, gab sie schnippisch zurück und versuchte, sich das Gesicht einzuprägen. Der Mann war Mitte 40, unrasiert und ganz gewiss hier oben groß geworden.
»Wenn du heut Abend unterwegs bisch, musch mutig sei’«, sagte der Mann, stützte sich mit beiden Händen am Dachholm ab und senkte den Kopf zur Scheibe herab.
»Ich denke, das sollten Sie mir überlassen. Ich kenn mich hier oben aus«, log sie.
»Die Gaiwänd könnet tückisch sein. Passen Sie bloß auf«, warnte der Mann. Was er unter Gaiwänd verstand, konnte Kerstin nur ahnen. Wahrscheinlich waren Schneeverwehungen gemeint.
»Erst heut Mittag hab i da draußen einen mit’m Traktor rauszieh’n müss’n. Wer da draußen nix ganz was Wichtiges zu tun hätt, sollte daheim bleibe.«
Kerstins Schreck hatte sich verflüchtigt. Der Kerl meinte es allem Anschein nach ehrlich und hatte keinerlei andere Absichten. »Ich muss aber da raus«, trotzte sie. »Ist die Straße nun frei oder nicht?«
»Kann man so net sag’n. Es hat zwar aufg’hört zu schnei’n, aber der Wind bläst so stark, dass es immer neue Gaiwänd gibt.«
»Danke, dann werd’ ich’s mal versuchen.« Sie lächelte ihm zu, kurbelte das Fenster wieder nach oben und legte einen Gang ein.
»Ach, noch was«, hörte sie ihn laut rufen, »Sie solltet da wirklich net allein ’nausfahre. Nicht jetzt, nicht heut Abend.«
56
Häberle beneidete diesen Mann. Er war vermutlich den ganzen Tag mit komplizierten Fällen befasst gewesen, hatte sich mit Verwaltungskram herumschlagen müssen und trug Verantwortung, die allenfalls mit der eines Flugkapitäns zu vergleichen war. Und nun strahlte er die Gelassenheit aus, als habe er alle Zeit der Welt. Dr. Alexander Stuhler hatte sich den weißen Arztkittel aufgeknöpft und Häberle einen Platz an der Rundung seines Schreibtisches angeboten. Moschin, der rechts neben dem Kommissar Platz nahm, wirkte dagegen nervös und abgekämpft. Sein Arztkittel war bis oben hin geschlossen.
»Dass ich Sie nach Ihrem Arbeitstag noch behelligen muss, tut mir leid«, begann Häberle das Gespräch und knöpfte seine Lederjacke auf. Er hatte sie nicht ablegen wollen, weil er darin Notizblock, Kugelschreiber, Handy und andere Utensilien verwahrte. »Es geht mir nur um ein paar Verständnisfragen.«
»Nur zu«, lächelte Stuhler charmant. »Dazu sind wir da.«
Moschin verzog keine Miene.
»Wir haben uns bereits darüber unterhalten«, wandte sich Häberle an den Chefarzt. »Aber inzwischen haben wir Erkenntnisse, dass tatsächlich hier ganz in der Nähe mit Blut experimentiert wurde, wenn ich das so laienhaft sagen darf. Und zwar im Gewerbegebiet von Laichingen.«
Moschin hob eine Augenbraue und sah skeptisch zu seinem Chef.
»Man hat das Labor aber in einer Nacht- und Nebelaktion nach Gran Canaria verlegt. Nur nebenbei eine Frage: Ist Ihnen ein Herr Humstett ein Begriff?«, fragte der Ermittler.
Stuhler schüttelte sofort den Kopf. »Spontan fällt mir dazu nichts ein.« Er sah zu Moschin. »Ihnen, Herr Kollege?«
»Nicht, dass ich wüsste. Aber bei der Menge von Patienten, die zu uns kommen …«
Häberle verzichtete auf weitere Nachfragen, sondern kam zu seinem Anliegen: »Wir haben davon gesprochen, dass bei Ihnen in der Klinik Nabelschnurblut nicht dort angekommen ist, wo es hin sollte.« Er mied die Formulierung, sie sei gestohlen worden. »Das könnte in der Tat darauf hinweisen, dass es in Laichingen gelandet ist.«
Stuhler runzelte die Stirn, während Moschin kurz ratlos mit der Schulter zuckte.
Der Kommissar wartete keine Antwort ab, sondern erklärte, worauf er hinauswollte: »Es soll einmal einen Kühlbox-Transport von der Klinik in dieses Labor gegeben haben.«
»Ach – das wissen Sie?«, staunte Stuhler. »Da wissen Sie mehr als wir.«
Moschins Interesse stieg. »Dann wird es ja ein Leichtes sein, die Spur zu verfolgen.«
»Darum bitte ich«, bekräftigte Stuhler und nahm wieder eine aufrechte Sitzhaltung ein.
»Leider wissen wir nicht, wer der Kurier war. Ein junger Mann soll’s gewesen sein.« Häberle behielt seine beiden Gesprächspartner fest im Auge.
»Ein junger Mann?«, fragte Moschin verwundert. »Wer hat das gesagt?«
Häberle lächelte. Er wollte es nicht verraten. Und die Frage, die ihm
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