Blutsauger
machte auf den ersten Blick einen munteren Eindruck. Um den Hals trug er einen Verband – und über ihm hing eine Flasche, aus der ein Infusionsschlauch zu seinem linken Arm führte.
Linkohr und Kerstin stellten sich vor und verwiesen darauf, dass sie vorgestern Abend in Laichingen dabei gewesen seien.
»Natürlich erinnere ich mich«, erwiderte Humstett, der gerade in einem Magazin geblättert hatte. »Nehmen Sie Platz.« Er deutete auf zwei Stühle.
Linkohr und Kerstin zogen sie zu sich her und setzten sich. »Die Ulmer Kollegen haben uns verständigt«, erklärte Linkohr und knöpfte sich seine dick gefütterte Jacke auf.
»Es hätt mich beinahe erwischt«, sagte Humstett emotionslos. »Aber eben nur beinahe.« Er schilderte, wie ihm beim Aussteigen aus seinem Auto von hinten eine Schlaufe über den Kopf gestülpt und zugezogen worden war. »Hätte ich nicht reflexartig mit Ellbogen und angewinkelten Beinen zugestoßen, hätte ich keine Chance gehabt.«
»Die Person haben Sie aber nicht erkannt?«
»Es war dunkel, nahezu stockdunkel. Die Scheinwerfer am Auto waren schon aus – und ich wollte zum Tor, um es von außen zu schließen.«
»Die Schlinge war fast zugezogen«, erzählte Humstett weiter und deutete ein verschmitztes Grinsen an, als sei alles gar nicht so dramatisch gewesen. »Bin wohl dem Sensenmann gerade noch von der Schippe gesprungen. Wahrscheinlich hab ich die Person an so markanter Stelle getroffen, dass ihr Hören und Sehen vergangen ist.«
Kerstin ließ sich nicht anmerken, an welche Körperstelle sie denken musste. »Sie sprechen von einer Person. Dann können Sie vermutlich nicht eindeutig sagen, ob Mann oder Frau?«
»Es wurde ja nichts gesprochen – und es war Nacht, vom schlechten Licht einer entfernten Straßenlampe abgesehen. Außerdem stand ich mit dem Rücken zum Angreifer. Und als er geflüchtet ist, hab ich zuerst versucht, mir wieder Luft zu verschaffen. Das Ding, dieses Metalldrahtdings, funktioniert wie eine Garrotte, öffnet sich nach dem Zuziehen nicht mehr.«
»Wie haben Sie sich befreit?«, wollte Kerstin wissen.
»Gar nicht. Ich hatte Glück, dass die Schlinge nicht fest genug zugezurrt war. Das war wirklich mein Glück, das dürfen Sie mir glauben. Ich hab auf dem Handy 110 gewählt – und mich gegen das Auto gelehnt und so gut es ging geatmet.«
»Sprechen haben Sie noch gekonnt?«, hakte Linkohr nach.
»Gerade so, dass mich der Polizist verstanden hat.«
»Diese Metallschlaufe«, zeigte sich Kerstin interessiert, »die hat die Ulmer Polizei sichergestellt, das wissen wir. Wie dick muss man sich das Material vorstellen?«
»Ganz dünn, wie der einzelne Draht eines Telefonkabels vielleicht. Man bezeichnet das als Stahlseil – nur dürfen Sie sich in diesem Fall kein riesiges Drahtseil für eine Seilbahn vorstellen, sondern eben was ganz Dünnes.«
»Und wofür braucht man so etwas?«
»In irgendwelchen technischen Gerätschaften, um etwas zu befestigen oder über einen kleinen Antrieb zu bewegen. Oder in der Medizin, falls Sie darauf hinauswollen. In der Endoskopie, wenn Sie wissen, was das ist.«
Die beiden jungen Kriminalisten wussten dies zwar, jedoch konnten sie sich dabei die Verwendung dünner Stahlseile nicht vorstellen.
Humstett bemerkte die Ahnungslosigkeit und erklärte: »Endoskopie – das ist Einführen dünner Schläuche in den Körper durch natürliche Körperöffnungen, wie beispielsweise die Speiseröhre, den Hals oder den Darm. Manches kann auf diese Weise sogar operiert werden. Oder entfernt – wie etwa bei einer Darmspiegelung irgendwelche Wucherungen. Um die winzigen Instrumente von außen bewegen zu können, brauchen Sie einen Mechanismus, der über solch dünne Stahlseile funktioniert.« Humstett holte tief Luft. Offenbar hatte er Schmerzen im Hals.
»Und wozu brauchen Sie das?«, fragte Linkohr unversehens dazwischen.
»Ich?« Humstett grinste. »Ach, Sie meinen die Rolle, die in Laichingen zurückgeblieben ist?«
Linkohr nickte.
»Ja, das ist so etwas.« Er räusperte sich. »So was Ähnliches wird’s gewesen sein. Nein, ich hab’s nicht für medizinische Zwecke gebraucht.«
»Sondern?«
»Das wird Sie wundern. Um Vögel vom Gebäude fernzuhalten. Tauben beispielsweise. Weil die alles verkacken, wo sie hinhocken. Simse und Vorsprünge.«
»An dem Industriegebäude in Laichingen?«, staunte Linkohr.
»Nein, natürlich nicht, sondern an meinem Privathaus hier in Blaubeuren.«
»Und dazu benutzt man dünne
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