Blutsauger
Stahlseile?«
»Haben Sie das nie gesehen? Meist bringt man Metallstifte an, damit die Vögel nicht landen können. Ich mach’s mit dünnen Stahlseilen, die ich im Abstand von zwei Zentimetern über Simse und Mauervorsprünge gespannt habe.« Er blickte in erstaunte Gesichter, weshalb er irritiert fragte: »Soll das jetzt ein Misstrauen sein?«
»Nein«, beruhigte Linkohr, »keine Sorge. Wir wollen uns nur ein Bild von der gesamten Situation verschaffen. Denn so, wie sie sich darstellt, sind Sie in höchster Gefahr. Es gilt zu prüfen, inwieweit wir Ihnen einen Personenschutz organisieren müssen.«
»Quatsch«, empörte sich Humstett. »Dieser Kerl – oder wer es auch immer war – taucht nicht mehr auf. Dem hab ich so eine verpasst, dass er es kein zweites Mal mehr wagt. Im Übrigen verlasse ich das Land übermorgen. Und ich will heute hier unbedingt raus.«
»Sie wollen weg?«
»Ich hab mich entschieden – ich nehm das Angebot an und geh nach Gran Canaria.«
»Obwohl dies alles mit dem Anschlag auf Sie zu tun haben könnte?«, staunte Kerstin.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Humstett. »Denn mich umzubringen, wäre völliger Schwachsinn. Alles, was wir bisher erforscht haben, schlummert absolut sicher in einem Ulmer Tresor. Und falls mir etwas zustößt, wird ein Notar alles Weitere in die Wege leiten.«
»Wissen das die anderen?«, fragte Linkohr dazwischen.
»Welche anderen?«
»Na ja, die, mit denen Sie’s zu tun haben. Haben Sie denen gesagt, dass Sie solche Vorkehrungen getroffen haben?«
»Nein, hab ich nicht.« In diesem Augenblick schien ihm erstmals klar zu werden, dass ihn somit seine Vorkehrungen nicht retten würden. Was nützte es ihm persönlich, wenn Dritte erst nach seinem Ableben bemerkten, wie sehr er die Forschungsergebnisse gesichert hatte?
»Und wen haben Sie im Verdacht?« Kerstin wollte endlich Konkretes hören.
»Keine Ahnung«, erwiderte er für Linkohrs Empfinden einen Deut zu schnell.
»Hat man nicht ein gewisses Gefühl?«, griff Kerstin behutsam ein. »Feinde hat man doch immer, irgendwie.«
»Wenn Sie in dieser Branche tätig sind, lässt es sich nicht vermeiden, dass Sie Neider und Konkurrenten haben. Aber deswegen bringt man doch keinen um«, gab sich Humstett distanziert.
Linkohr wollte deutlicher werden: »Dass Sie in Laichingen etwas herausfinden wollten, das möglicherweise nicht ganz gesetzeskonform war, mag sein – und das interessiert uns zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht –, nur bedenken Sie bitte, wie viele Menschen schon gestorben sind.«
»Zwei, ich weiß – aber das hat nichts mit meiner Arbeit zu tun.«
»Nicht zwei«, entgegnete Linkohr langsam und betont, »inzwischen sind es drei.«
»Drei? Wie soll ich das verstehen?«
»Elmar Brugger«, erwiderte Linkohr sachlich. »Ein Bekannter von Ihnen?«
»Ne. Muss ich den kennen?«
»Müssen nicht, nein«, blieb Linkohr gelassen, »aber der, den Sie als den Chef bezeichnet haben, den Harald Maronn, der hat’s inzwischen mit der Polizei zu tun gekriegt.«
»Maronn?« Humstett hob den Kopf und ließ ihn sogleich wieder in die Kissen sinken, weil ihm dies Halsschmerzen bereitete. »Was ist mit Maronn?«
»Er sitzt auf Gran Canaria im Knast.« Linkohr ging in die Offensive.
»Maronn im Knast? Was hat das zu bedeuten?«
Kerstin ließ Linkohr den Vortritt. »Wir hatten befürchtet, er sei in etwas Schlimmes verwickelt. Doch die spanischen Behörden suchen ihn wegen einer Steuergeschichte und – jetzt passen Sie mal auf – wegen unerlaubten Betreibens medizinischer Einrichtungen, oder so ähnlich.«
Humstett musste das Gehörte zunächst verdauen und schwieg. Kerstin nahm die Gelegenheit wahr, ihm ins Gewissen zu reden: »Wäre das nicht eine gute Chance für Sie, ganz auszusteigen?«
»Und vielleicht lieber nicht auf die Kanaren zu fliegen?«, ergänzte Linkohr.
Humstett schwieg noch immer. Möglicherweise waren sie einen Schritt zu weit gegangen und er würde einen neuen Schock erleiden, warf sich Kerstin vor. Sie beobachtete das Gesicht des Mannes, das deutlich an Farbe verloren hatte.
Linkohr nahm einen neuerlichen Anlauf: »Vielleicht sollten Sie Ihre ablehnende Haltung zu einem Personenschutz nochmals überdenken.«
»Ich werde vieles überdenken müssen. Aber im Moment brauche ich Ruhe. Bitte gehen Sie jetzt. Ich werde mir schon selbst zu helfen wissen.«
Kerstin stand auf und sah auf ihn herab. »Sie sollten es sich nur nicht zu lange überlegen. Drei Tote sind
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