Blutsauger
stockähnlichen Gegenstand drohend in die Höhe hielt. »Keine Bewegung, sonst schlag ich dich tot!«, schallte es durch die Nacht. Das schwache Licht einer kleinen Taschenlampe traf auf die Gestalt und ließ die Umrisse eines Mannes erkennen. Dieser kniete neben dem leblosen Frenzel und wagte sich nicht zu bewegen. Denn er hatte den herangeschlichenen Fremden erkannt. »Sind Sie wahnsinnig?«, entfuhr es ihm deshalb. »Was zum Teufel suchen Sie hier?«
Vorsorglich war auch das Spezialeinsatzkommando alarmiert worden. Weil jedoch die aufsitzende Bewölkung am Albrand keine Hubschrauberflüge ermöglichte, musste die Mannschaft ebenfalls den mühsamen Landweg nehmen. Allerdings war das SEK mit allradbetriebenen Geländefahrzeugen ausgerüstet, die auch starke Schneeverwehungen bewältigten.
Sämtliche Fahrzeuge, die sich aus unterschiedlichen Richtungen dem verlassenen Einsatzort näherten, waren allerdings noch kilometerweit von ihrem Ziel entfernt, als die für diesen Bereich zuständige Esslinger Leitzentrale per Funk den aktuellen Stand übermittelte. »Anruf eines Mannes aus dem Naturschutzzentrum Schopfloch. Er will eine Person überwältigt und in die Flucht geschlagen haben. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Person noch im Bereich des Naturschutzzentrums aufhält. Bewaffnung unklar. Außerdem wurde eine Person schwer verletzt. Notarzt ist unterwegs.«
Auch Linkohr und Kerstin waren nach der Festnahme von Frau Brugger sofort in Richtung Schopfloch gefahren. »Geht’s nicht ein bisschen schneller?«, quengelte Kerstin, als er mühsam versuchte, den Golf in den Spurrillen der Schneedecke zu halten.
»Ruf Häberle an«, gab er einsilbig zurück, um sie zu beschäftigen. »Sag ihm, was hier läuft.«
»Der sitzt bei einem Gläschen Rotwein in der Poolbar und genießt die kanarische Nacht.«
»Aber wenn er erfährt, was hier los ist, würde er am liebsten sofort herdüsen, darauf kannst du wetten.«
Häberle meldete sich bereits nach dem zweiten Rufton und ließ sich von Kerstin über die aktuelle Entwicklung berichten. Linkohr konzentrierte sich auf einige Schneeverwehungen, mit denen er zwischen Laichingen und Feldstetten zu kämpfen hatte. Der Sturm, so schien es ihm, wurde immer heftiger.
»Die Lena hat mich angerufen«, erklärte Häberle, »die Tochter von Fallheimer. Sie sagt, ihr Vater habe mal vom großen Doc gesprochen. Wen er damit gemeint hat, weiß sie allerdings nicht. Aber mir kommt es so vor, als könnte es sich dabei um den Drahtzieher im Hintergrund handeln.«
»So hört sich das an, ja«, erwiderte Kerstin. »Vielleicht haben wir bald Klarheit.«
Sie beendete das Gespräch, sah zu Linkohr und schilderte ihm Lenas Hinweis auf den großen Doc.
»Wen könnte sie damit meinen?«, fragte Linkohr, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, wo ihm der Sturm dicke Schneeflocken entgegenwehte. Das Bild erinnerte ihn an einen flimmernden Fernseher.
»Wenn wir Pech haben, ist’s einer, den wir gar nicht kennen«, murmelte er.
»Oder ein ganz großes Kaliber und unsere Polizei-Oberen knicken ein.«
»Einknicken wohl nicht«, gab der junge Kriminalist zurück. »Aber tausend Bedenken haben.« Er äffte das Verhalten derer nach, die dann Einfluss zu nehmen versuchten. »Sind Sie sich auch ganz sicher, Herr Häberle? Könnte es nicht doch anders gewesen sein? Ist Ihnen bewusst, dass Herr Soundso ein Schulfreund des Innenministers ist? Hat man Ihnen schon gesagt, dass Herr Soundso mal mit dem Staatssekretär Soundso in der Jugendorganisation derselben Partei war?«
»Hast du denn schon so viele schlechte Erfahrungen gemacht?«, unterbrach ihn Kerstin.
»Viele nicht, aber das, was ich bislang erlebt habe, reicht mir.« Er sah kurz zu ihr herüber. »Aber wenn du’s zu was bringen willst, musst du diese Seilschaften kennen, liebe Kerstin. Das darfst du mir glauben. Du brauchst nur mal mit dem Chef darüber zu reden.«
»Und du meinst, wir treffen dort oben den großen Doc?«
»Den großen Doc vielleicht«, antwortete Linkohr überlegt, »aber ganz sicher unseren Freund Max Frenzel. Wer sonst soll sich da oben rumtreiben?« Ihm fiel ein, dass es nichts schaden konnte, sich auf die Situation vorzubereiten. »Ruf doch mal Esslingen und frag, wer angerufen hat.«
Kerstin griff zum Mikrofon des Funkgeräts und befolgte Linkohrs Bitte. Der Beamte in der Leitstelle meldete sich sofort, hörte sich ihren Wunsch an und bat kurz um Geduld. Dann gab er die Auskunft: »Es handelt sich um einen
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