Blutsauger
gewiss Probleme bereitet hätte. Keinem Banker hätten sie ihr Geschäftsmodell, vor allem ihren Geschäftszweck, ehrlich darlegen können. Schließlich war alles, was mit Gentechnologie zu tun hatte, in der Öffentlichkeit nicht gerade gut angesehen – erst recht nicht, wenn sich private Gruppen und wissenschaftliche Nobodys damit befassten.
Brugger erhob sich von seinem Liegestuhl und spürte, wie sein Rücken trotz der gepolsterten Unterlage schmerzte. Er lehnte sich an die gemauerte Balustrade und besah sich die beiden Seitenflügel des Hotels, die schräg vom Mitteltrakt des Gebäudes abgewinkelt waren und somit als Windschutz für den Garten dienten. Vereinzelt brannte Licht hinter den zugezogenen Vorhängen. Vielleicht auch Menschen, die nicht schlafen konnten – oder sich anderweitig vergnügten, dachte Brugger. Wäre das Gespräch am Abend nicht gewesen, hätte er sich jetzt vorgestellt, wie das alles mit Melanie und Caroline sein würde, die am Montagnachmittag auf Gran Canaria ankommen würden. Doch inzwischen beschäftigte ihn eine andere Frau – nämlich jene, die offenbar bei den anderen Teilhabern angerufen hatte, um sie zum Ausstieg aus dem Unternehmen zu bewegen. Sie hatte dazu eine Adresse in Brig im Wallis angegeben, wo sie postalisch zu erreichen sei. Wahrscheinlich eine reine Briefkastenadresse, dachte Brugger, der dieses beschauliche Städtchen im Rhonetal kannte – unweit von Zermatt einerseits und dem Aletsch andererseits, Mitteleuropas größtem Gletscher. Ausgerechnet dort, durchzuckte es ihn. Er war mit Brunhilde, seiner Ehefrau, schon zweimal dort gewesen. Das erste Mal zum Bergwandern. Der Zeitraum hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Denn am Tag, als in New York das World Trade Center einem Terroranschlag zum Opfer gefallen war, waren sie in jenem Seitental, das nach Zermatt führt, zu Visperterminen hochgestiegen und am steilen Wiesenhang nachmittags in der Sonne gelegen, während nacheinander die Flugzeuge in Manhattan in die Türme krachten. Später waren sie noch einmal im Winter im Rhonetal gewesen. Doch die Erinnerung daran hatte er verdrängt.
Seit dem Bergwandern waren acht Sommer vergangen. Acht Sommer und acht Winter. Manchmal konnte er es nicht fassen, wie schnell die Zeit verging. Und ausgerechnet jetzt kam ihm diese herrliche Spätsommerzeit in Brig auf so dramatische Weise wieder in Erinnerung. Wahrscheinlich war die genannte Adresse nur ein konspirativer Briefkasten, um außerhalb der Europäischen Union und bei einer etwas anderen Steuer- und Finanzgesetzgebung in Sicherheit zu sein. Während er weit draußen auf dem Meer Lichter entdeckte, die vermutlich von einem vorbeifahrenden Kreuzfahrtschiff stammten, versuchte er, sich an den Namen dieser mysteriösen Anruferin zu erinnern. Maronn hatte ihn genannt, aber weil er damit nichts hatte anfangen können, war er ihm wieder entfallen. Nur an eines konnte er sich entsinnen. Es war wohl eine Adlige.
11
Sie hatte geduldig draußen auf dem Flur gewartet, zwischen all den Betrunkenen und Leidenden in abgegriffenen Illustrierten geblättert und sich den Gesprächen über verrenkte Glieder oder Bauchschmerzen nicht entziehen können. Dass die von ihr gewählte närrische Verkleidung von allen Seiten kritisch beäugt wurde, war ihr egal. Sie trug ein Katzenkostüm, dessen graumeliertes Kunstfell drei Handbreit überm Knie endete, sich kapuzenartig über den Kopf erstreckte und wie eine Pudelmütze das gesamte Gesicht umrahmte. Beidseits des Kopfes waren spitz hochgestellte Katzenohren angebracht.
Ihr Gesicht hatte sie mit grell-weißer Schminke entstellt und von der Oberlippe zogen sich schwarze, aufgemalte Schnurrhaare zu den Wangen und sorgten für katzenartige Züge.
Auf dem Weg zum Behandlungszimmer hatte sie ihren schwarzen Mantel über den linken Unterarm geworfen, um den auch der Trageriemen ihrer kleinen Handtasche gewickelt war. Die rechte Hand steckte lässig in einer Seitentasche ihres Katzenkostüms und umfasste ein kleines Handy. Sie brauchte nur eine einzige Taste zu drücken, um eine vorbereitete SMS versenden zu können.
Eine scharfe Katze, dachte Salbaisi, als ihm die Ambulanzschwester diese Patientin herüberbrachte. Er schüttelte ihr zur Begrüßung die in weißen Samthandschuhen steckende Hand und bot ihr einen Platz auf dem Polsterstuhl neben der Liege an. »Schönes Kostüm haben Sie da«, lobte er und musterte sie von oben bis unten, wobei sein Blick etwas zu lange, wie Brigitte
Weitere Kostenlose Bücher