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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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verpachten.
    Die heruntergelassenen Rollos vor den Fenstern des Gebäudes hätten vermuten lassen, dass es derzeit gar keine Nutzung gab. Doch an der Stirnseite zum Nachbargrundstück ragte ein fenstergroßer Metallkasten aus der Wand des Obergeschosses und verbreitete in den frühen Morgenstunden dieses Februartages ein monotones Rauschen. Wäre es Hochsommer und heiß gewesen, hätte es durchaus eine Klimaanlage sein können. Doch an diesem eisigen Morgen gab es keinen Grund, den Innenraum zu kühlen.
    Dr. Claus Humstett, einzige Person in dem Gebäude, fühlte sich trotzdem behaglich. Sein Büro war beheizt und die federnde Lehne des gepolsterten Schreibtischsessels ließ sich weit nach hinten drücken. Der Mann, gerade 40 Jahre alt geworden und von sportlicher Gestalt, hatte sich in dem Industriegebäude wohnlich eingerichtet. Einige Büros waren kurzerhand mit Möbeln aus dem Abholmarkt in Wohn- und Schlafzimmer sowie in eine Küche umgewandelt worden. Seit er seine Frau verlassen hatte, fühlte sich Humstett so frei wie nie zuvor. Endlich konnte er schalten und walten wie er wollte, sein eigenes Chaos anrichten und aufräumen, wann er wollte. Niemand keifte dazwischen, niemand schrieb ihm vor, wann er was zu tun hatte. Er hasste es abgrundtief, wenn er in seinen wissenschaftlichen Studien und Arbeiten gestört wurde. Er brauchte diese Freiheit, sich den Arbeitstag so einzuteilen, wie es seiner körperlichen und geistigen Verfassung entsprach. Wie versklavt mussten sich Millionen von Menschen vorkommen, denen ein völlig unsinniger Arbeitsrhythmus aufgezwungen wurde, der in keinster Weise den persönlichen Hochs und Tiefs entsprach. Wie viele innovative Ideen wurden gleich im Keim erstickt, nur weil in dieser Gesellschaft keiner begriff, dass jeder Mensch ein Individuum war, das nicht wie eine Maschine tagtäglich gleich funktionierte! Anstatt einen Arbeitstag lang vor einem Problem zu sitzen und krampfhaft über dessen Lösung nachzusinnen, war es besser, sich hinzulegen und im Halbschlaf, in einem Zustand völliger Entspannung, die Seele baumeln zu lassen. Humstett hatte die besten Einfälle stets in dieser Situation. Zwischen Traum und Wirklichkeit, in einer geistigen Grauzone, zwischen Wachsein und dem Hinüberdämmern in ein anderes Bewusstseinsstadium, gab es schöpferische Momente ungeahnten Ausmaßes. Der menschliche Geist, davon war Humstett überzeugt, konnte aus unendlichen Energien schöpfen. Immer wenn er darüber nachdachte, kam ihm ein Spruch aus der Bibel in den Sinn: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Humstett war unendlich dankbar, diese Gabe ausschöpfen zu können.
    Ihm war es egal, wie spät es war. Er ließ sich nicht von der Uhr, sondern allein von seiner Intuition und seiner geistigen Tagesform leiten. Dass er die ganze Nacht in seinem Labor verbracht hatte, war ihm gar nicht bewusst. Er konnte Zeit und Raum vergessen und den Schlaf verdrängen. Doch jetzt, während eines Telefongesprächs, das ihn aus seinen Gedankenspielen gerissen hatte, waren die positiven Ströme unterbrochen.
    »Scheiße!«, entfuhr es ihm, nachdem ihm die Folgen dessen bewusst wurden, was man ihm soeben mitgeteilt hatte. Er wippte mit der federnden Lehne des Schreibtischstuhles und wiederholte ärgerlich: »Scheiße.« Er verlieh dem Wort mit der Art, wie er es aussprach, noch zusätzliche Verachtung – obwohl er es in der Öffentlichkeit niemals benutzen würde. Weit nach hinten gelehnt, sah er ins grelle Licht der Leuchtstoffröhre, um dabei konzentriert dem Anrufer zu lauschen, dessen Tonfall darauf schließen ließ, dass er keinen Widerspruch duldete. Humstett holte tief Luft und flüsterte: »Da wird dann ja wohl nichts anderes übrig bleiben.« Es klang erschöpft und resignierend.
     
    Brugger war aufgewühlt. Er spürte plötzlich unter seinem dünnen Pullover die Kühle der Nacht. Mit beiden Armen stützte er seinen Oberkörper auf der Balkonbrüstung ab und starrte zu den Palmwedeln, die sich aus dem Dunkel des Hotelgartens erhoben und sanft im Nachtwind flüsterten. Die rote Digitalanzeige am Pool stand auf 3.44 Uhr und spiegelte sich im Wasser des Pools. Weit draußen, dort, wo in der Schwärze der Nacht die Dünen in den Atlantik übergingen, rauschte die Brandung. Doch diese traumhafte Atmosphäre, wie sie jeder Urlauber hier genoss, nahm Brugger nicht mehr wahr. Er fühlte sich in den Sog der Ereignisse gerissen, die ihn auf einmal umgaben. Wieso stürzte mit einem Schlag so viel Negatives

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