Blutsauger
haben. Er schob die verglaste Terrassentür zu und setzte sich aufs Bett. So wie seine Frau sprach, war sie ziemlich betrunken. Vermutlich hatte sie mit ihren Freundinnen die Nacht durchgezecht und war jetzt kurz davor, die Kontrolle über sich zu verlieren.
»Und zweitens – was?«, wollte er genervt wissen.
»Ha – zweitens, Herr Dr. Elmar, zweitens weiß ich es wie du zu schätzen, mir mal eine Auszeit zu gönnen.« Wieder das Kichern, das in ein seltsames Gegluckse überging, als müsse sie sich übergeben.
»Bruni«, er benutzte ihren Kosenamen, »Bruni, jetzt hör mal zu. Ich wollte nur wissen, ob alles okay ist und ob es dir gut geht.«
»Seit wann wagt sich der Herr Doktor an eine Ferndiagnose heran? Das ist mir ja ganz neu. Denn der Herr Doktor ist doch nicht mal in der Lage, eine Nahdiagnose zu stellen.«
Wie sie das Herr Doktor betonte und jetzt auf die Tatsache anspielte, dass sie sich in letzter Zeit auseinandergelebt hatten, das passte ihm nicht. Nicht hier und nicht zu dieser Stunde. Er musste darauf achten, dass der Streit nicht eskalierte. In ihrem Zustand konnte dies leicht geschehen – und wenn sie dann auflegte, waren ihm sämtliche Einflussmöglichkeiten genommen.
»Bruni«, wiederholte er noch einmal, »am besten, du legst dich jetzt hin. Ich bin beruhigt, dass du daheim bist und dass alles okay ist.«
»Okay ist?«, echote sie keifend. »Was soll schon okay sein? Dass du dich auf den Kanaren rumtreibst – mit was weiß ich welchen Gespielinnen? Oder glaubst du im Ernst, ich nehm dir ab, dass du tagelang mit Harald geschäftlich zu tun hast?« Ihre Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen. »Harald wird schon dafür gesorgt haben, dass die Männerrunde voll auf ihre Kosten kommt.«
»Bruni«, unterbrach er sie und sah durch die gläserne Balkontür zum Horizont, wo ein paar Lichter funkelten, »du redest dir etwas ein, was völlig daneben ist. Du weißt genauso gut wie ich, dass Harald hier unten etwas plant, das von eminenter Bedeutung für unser Unternehmen ist. Und im Übrigen werde ich diesem Fernandez mal kräftig die Leviten lesen und auch noch Friedrich und Edgar treffen.«
»Fernandez, Friedrich und Edgar«, kam es angewidert zurück. »Was ich von denen halte, weißt du. Das brauche ich dir nicht zu sagen.«
Er versuchte, ruhig zu bleiben. »Über Fernandez brauchen wir nicht zu reden, da stimm ich voll und ganz mit dir überein. Aber Friedrich und Edgar sind unsere wichtigsten Investoren.« Eigentlich war es unnötig, ihr dies zu erklären, denn sie war selbst in die Angelegenheit mehr als genug involviert.
»Das sind die größten Schweinehunde weit und breit«, keifte seine Frau. »Friedrich und Edgar – wenn ich diese Namen schon höre! Kapitalisten sind das. Denen geht’s nicht wirklich um die Sache, sondern nur um ihre Knete. Rausziehen, was rauszuziehen ist. Nur du hast es noch nicht kapiert.«
»Beruhige dich, Bruni«, versuchte er sie zu besänftigen, wohl wissend, dass sie jetzt in einem Zustand war, der kein vernünftiges Gespräch mehr zuließ.
»Was soll ich mich beruhigen, Mann! Du hurst bei den Kanarienvögeln rum und ich muss die ganze verdammte Scheiße hier ausbaden.«
Brugger stutzte. So heftig hatte er seine Frau schon lange nicht mehr erlebt. »Darf ich fragen …« Er hielt überlegend inne, stand auf, trat zur Balkontür und visierte dabei die Lichtpunkte weit draußen auf dem Meer an, »darf ich fragen, welche Scheiße du ausbaden musst?«
»Ach, schwätz doch nicht so blöd daher.« Sie legte auf.
Salbaisi schaute die junge Frau an, die sich langsam von ihrem Stuhl erhob. »Ich schick Sie zum Röntgen. Reine Vorsichtsmaßnahme.« Er füllte das entsprechende Formular aus, reichte es ihr und begleitete sie zur Tür. »Rechts den Gang weiter und dort warten, bis Sie aufgerufen werden. Danach sehen wir uns wieder.«
Er entließ sie mit einem beruhigenden Lächeln und zog die Tür hinter ihr ins Schloss. Unterdessen war Brigitte bereits auf dem Weg zum nächsten Patienten. Salbaisi hatte den Eindruck, als wolle sie den Stau der Wartenden möglichst schnell abbauen. Doch der Mann, mit dem sie Sekunden später durch die andere Tür auftauchte, bedurfte dringend ärztlicher Hilfe. Er hatte sich mit dem Taxi bringen lassen und über starke Bauchschmerzen geklagt. Sein ergrautes, dünnes Haar hing ungekämmt nach allen Seiten von einem eingefallenen Schädel. Äußerlich erweckte er den Eindruck, die Nacht bisher im Bett verbracht
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