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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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zu haben und nur provisorisch bekleidet zur Klinik gekommen zu sein. Salbaisi bekam bei der Begrüßung eine kalte, zittrige Hand zu spüren. Brigitte zog dem Mann, der vorigen Monat 76 Jahre alt geworden war, den Stuhl zu den Kniekehlen, damit er sich setzen konnte.
    »Was führt Sie zu so ungewöhnlicher Stunde zu uns?«, fragte der Arzt und legte eine Hand auf die Schulter des Patienten, der ziemlich verschüchtert dasaß. »Wo tut’s denn genau weh?«, hakte Salbaisi etwas lauter nach. Er vermutete, dass der Mann nicht gut hörte.
    »Hier«, kam die schwache Antwort. Er deutete an die linke Bauchseite und schilderte zögernd seine Symptome: Nach drei Tagen habe er endlich wieder Stuhlgang gehabt und nun sei blutverfärbtes Dünnflüssiges abgegangen. Und gleichzeitig hätten sich die seit Langem anhaltenden Bauchschmerzen enorm gesteigert.
    »Waren Sie denn in letzter Zeit mal bei Ihrem Hausarzt?«, wollte Salbaisi wissen.
    Der Mann schüttelte langsam den Kopf. »Hausarzt? Habe ich nicht«, erwiderte er leise.
    Salbaisi und Brigitte warfen sich ratlose Blicke zu. Dann trat der Arzt vor den sitzenden Patienten und gab sich Mühe, den möglichen Ernst der Lage nicht zu zeigen: »Ich denke, es ist besser, wir nehmen Sie stationär bei uns auf.«
    Der Angesprochene senkte seinen Blick, als schäme er sich seiner Krankheit. Zwei, drei Atemzüge lang war es still. »Meinen Sie …«, der Mann zögerte, »… meinen Sie, es ist Krebs?«
    Salbaisi erfasste die Stimmungslage des Mannes sofort und verstand es, angemessen darauf zu reagieren: »Manches sieht oft schlimmer aus, als es ist.« Er verzog das Gesicht zu einem zaghaften Grinsen. »Wie sagt man in Deutschland so schön? Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.«
    Auch auf dem verhärmten Gesicht des Patienten zeichnete sich ein Lächeln ab, als klammere er sich an ein Stück Hoffnung. Er blickte langsam auf und sah Salbaisi mit unsicheren Augen ins Gesicht: »Ich wünsche mir, es ist so.«
    »Keine Sorge, Herr …«, Salbaisi griff zu dem Datenblatt, um den Namen abzulesen, »… Herr Lübbe, Sie sind bei uns gut aufgehoben. Wir werden in aller Ruhe feststellen, was Ihnen Kummer bereitet.«
    Brigitte begann bereits, die schriftlichen Formalitäten zu erledigen, die zur Einweisung notwendig waren. Lübbe, so erfuhr sie, hatte keine Angehörigen, die in der näheren Umgebung wohnten. Seine Frau war vor sechs Jahren gestorben, der einzige Sohn nach Spanien ausgewandert.
    »Wir machen zuerst eine Ultraschalluntersuchung«, entschied Salbaisi, als es zaghaft an der Tür klopfte, die in den Flur zur Röntgenabteilung führte.
    Der Arzt war für einen Augenblick irritiert, reagierte dann aber schnell: »Ja, bitte.« Er drehte sich verwundert zu der Tür, die sich langsam einen Spalt weit öffnete, sodass jemand seinen Kopf durchstecken konnte. Salbaisi erkannte sofort die Patientin, die er wegen ihres schmerzenden Sprunggelenks vor einer halben Stunde zum Röntgen geschickt hatte. Erst jetzt fiel ihm ein, dass sie bisher ebenso wenig wieder zurückgekommen war wie die Adlige mit dem Katzengewand.
    Brigitte wollte bereits abwehren und die Frau bitten, sich noch zu gedulden, bis sie wieder aufgerufen werde. Doch die Patientin kam ihr zuvor: »Da ist noch immer niemand rausgekommen, um mich zu holen.«
    »Immer noch nicht?«, zeigte sich Salbaisi verwundert. »Es hat Sie niemand zum Röntgen geholt?«
    »Nein, niemand«, erwiderte die Frau, um sich sogleich zu entschuldigen. »Ich will auch nicht ungeduldig sein, aber … ich dachte, ich melde mich mal.« Sie war sichtlich erleichtert, nicht gleich abgewiesen zu werden.
    »Und da ist bisher auch niemand herausgekommen?«, vergewisserte sich Salbaisi. Sie schüttelte den Kopf.
    Der Arzt wandte sich an Brigitte: »Vielleicht sollten Sie mal schauen, was da los ist.«

14
    Wer das zweistöckige, mit blauen Metallplatten verkleidete Gebäude sah, vermutete darin karge Büros. Es fristete in diesem großzügig angelegten Gewerbegebiet, abseits eines Hochregallagers und eines Metall verarbeitenden Betriebs, ein eher bescheidenes Dasein. Nirgendwo war eine Firmenaufschrift oder ein Logo angebracht. Vermutlich hatte man das Haus einst für einen kleinen Handwerksbetrieb errichtet, den es längst nicht mehr gab. Was sich dann in solchen Immobilien ansiedelte, war meist nicht vom Feinsten. Die Eigentümer oder Insolvenzverwalter kümmerte dies wenig. Hauptsache, sie konnten das Objekt verkaufen, vermieten oder

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