Blutsauger
über ihn herein? Das, was Harald Maronn gesagt hatte, und jetzt diese seltsamen Bemerkungen von Brunhilde, seiner Ehefrau. Er war lediglich auf Geschäftsreise gegangen, er, der Oberarzt aus der Helfenstein-Klinik, der sich, wie das viele andere Mediziner auch tun, an Forschungsprojekten beteiligte, die zwangsläufig auf internationaler Ebene angelegt waren. Wer heutzutage noch glaubte, die Wissenschaftler einzelner Länder könnten sich abschotten und nur für sich oder ihren Staat etwas entwickeln, der hatte die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Durch Bruggers Kopf jagten tausend Gedanken gleichzeitig, die er zwar zu vertreiben versuchte, sich ihrer aber nicht erwehren konnte.
Was waren das für Kleingeister, die den Forschern und Wissenschaftlern dieser Welt Fesseln anlegen wollten? Die tatsächlich der Überzeugung waren, man könne den Forscherdrang zügeln oder gar in Bahnen lenken. So wie niemand die Atombombe verhindert hatte, so wenig war es möglich, per Gesetz die Experimente mit dem Leben zu verbieten. Was machbar war, wurde gemacht – wenn nicht öffentlich, dann in irgendwelchen Hinterhöfen oder Kellern. Und gewiss gab es genügend Wissenschaftler, die sich gefährlich nah an jener Grenze bewegten, hinter der das Genie zum Psychopathen wurde. Das mochte alles so sein – aber zu ändern war daran nichts. Die Menschheit wäre nicht das, was sie jetzt war, hätte es nicht immer mal wieder umwälzende Entwicklungen gegeben. Die Frage, was aus ihr ohne derartigen Fortschritt geworden wäre, stellte sich nicht, denn diese Variante hatte sich nicht durchgesetzt. Selbst Gedankenspiele erbrachten keine Antwort, denn wer könnte schon ausschließen, dass eine umwälzende Entwicklung nicht mit Verzögerung eingesetzt hätte? Oder wie die Technik in den letzten hundert Jahren vorangeschritten wäre, hätte es nicht die beiden schrecklichen Weltkriege gegeben. Mit dem Völkermorden war nicht nur viel Material zerstört worden, sondern auch menschliche Intelligenz, die möglicherweise ganz anderes hervorgebracht hätte als das, was später ersonnen wurde. Oder manches wäre früher gekommen. Eventuell hätte es schon in den 50er-Jahren einen Bill Gates anderen Namens gegeben, der die Idee eines Betriebssystems für den Computer frühzeitiger hätte umsetzen können, wenn ihm eine friedlichere Vergangenheit schon zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen geschaffen hätte. Andererseits beflügelten gerade militärische Spannungen den menschlichen Geist und trieben ihn zu Höchstleistungen, auch wenn damit meist das Ziel der perfekten Vernichtung des jeweiligen Gegners verfolgt wurde. Bekanntermaßen ist für die Militärs nichts zu teuer, sodass manches später als Abfallprodukt in die zivile Nutzung einfloss. Das Internet war so etwas. Und dass die Menschheit 1969 auf den Mond hatte fliegen können, war nicht allein dem Forscherdrang zu verdanken, sondern dem Wettrennen zweier Supermächte, die aus militärischen Gründen Stärke und technischen Fortschritt dokumentieren wollten. Deshalb mutet es nicht mal seltsam an, dass sich die NASA jetzt, über 40 Jahre später, schwertat, einen neuerlichen Versuch zu wagen. Aus der einst ruhmreichen Raumfahrtbehörde war ein dahindümpelnder Apparat geworden, der nach dem Abschluss des Shuttle-Programms keinen eigenen Raumtransporter mehr zur Verfügung hatte. Selbst US-Präsident Barack Obama, der Visionär, wollte nicht mehr wirklich nach den Sternen greifen und dies als Ansporn für innovative Ideen nutzen, sondern sich eher massiven irdischen Problemen zuwenden.
Aber auch die irdischen Probleme, so hörte Brugger eine innere Stimme sagen, harrten auf innovative Lösungen. Denn je mehr Menschen diesen vergleichsweise winzigen Planeten bevölkerten, desto drängender wurden manche Fragen, deren Beantwortung von existenzieller Bedeutung sein würden: Nahrung, Wasser, saubere Luft, vor allem aber Energie. Ganz besonders aber Krankheiten, die sich rasend schnell ausbreiten konnten. Ein aggressives Virus konnte im Container oder im Flugzeug aus jedem Winkel der Welt zu den Drehkreuzen des internationalen Luftverkehrs gelangen – und von dort überall hin. Brugger musste für einen Moment an die Hysterie denken, die vor wenigen Monaten erst die Schweinegrippe ausgelöst hatte. Von einer drohenden Pandemie war die Rede, weshalb die deutsche Bundesregierung, unter dem Druck der allmächtigen Medien, panikartig jede Menge Impfstoff eingekauft hatte, den kaum jemand wollte. Die
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