Blutsauger
umso selbstbewusster im Auftreten, wie mir der Kollege Salbaisi es geschildert hat. Eine Dame mit adligem Namen …« Stuhler schien in Papieren zu blättern. »Hier«, fuhr er fort. »Marion von Willersbach hat sie sich genannt. Angeblich aus Ulm. Weinbergweg.«
Schmittke ließ sich die Hausnummer geben und schrieb die Adresse auf. »Sie befürchten, dass die Personalien nicht stimmen?«
»Ich erwähnte bereits, in solchen Nächten erleben Sie alles. Aber das dürfte bei der Polizei kaum anders sein.«
»Ich kann mich ja mal für Sie darum kümmern«, erwiderte Schmittke, ohne auf sein Gegenüber einzugehen. »Die Kollegen in Ulm werden ziemlich schnell rauskriegen, ob die Dame dort wohnt.«
»Es hat sicher nichts zu bedeuten, Kollege Salbaisi meint lediglich, es sei die schillerndste Gestalt in dieser Nacht gewesen. Arrogant und selbstbewusst – ach ja, und hat sogar behauptet, sie würde einen unserer Kollegen kennen, was dieser in Abrede stellt.«
»So?«, staunte Schmittke. »Und weshalb war sie schillernd?«
»Na ja, es ist Fasching. Sie war wohl mit einem Katzenkostüm bekleidet. Ziemlich auffällig.«
»Die Untersuchung ist normal abgelaufen?«
»Nicht ganz – und das ist in der Tat merkwürdig, wenn ich das so sagen darf. Kollege Salbaisi hat sie, wie das so üblich ist, zum Röntgen geschickt. Aber davon ist sie nicht mehr zurückgekommen. Sie scheint sich’s wieder anders überlegt zu haben und hat sich nicht mehr bei ihm gemeldet.«
»Wie bitte?« Schmittke war plötzlich sensibilisiert. »Sie ist zum Röntgen und dann verschwunden?«
»So kann man es sagen. Das ist im Trubel einer solchen Nacht durchaus möglich. Ich weiß nicht, ob Sie unsere Örtlichkeiten kennen. Die Patienten können über einen langen Gang wieder zurück zur Pforte gelangen. Und dort werden Patienten aus der Ambulanz, die das Haus verlassen, nicht sonderlich zur Kenntnis genommen.«
»Wie lange vor dem Auffinden der Toten war das etwa?«
»Wir können dies relativ einfach nachvollziehen, weil die EDV die Uhrzeiten festhält. Es dürfte etwa eine Stunde gewesen sein. Aber das lässt sich genau ermitteln, falls Sie das wünschen.«
»War die Dame denn beim Röntgen? Gibt es Aufnahmen?« Schmittkes Interesse war deutlich gestiegen.
»Wir müssen sie zuerst noch sichten und zuordnen. Wenn Sie dies für erforderlich halten, werde ich es sofort in die Wege leiten.«
Schmittke gab sich zurückhaltend. »Ich denke, dass es unter diesen Umständen geboten erscheint, Frau Kastel obduzieren zu lassen.«
Stuhler schwieg für einen Moment. »Ich würde mir jedenfalls eine lückenlose Aufklärung wünschen.«
Schmittke nickte. Womöglich würde er Watzlaff bei der Einschätzung des Falles recht geben müssen. Aber noch sah es nicht danach aus.
Brugger hatte Magenschmerzen, als er im Taxi zu Maronns Ferienwohnung fuhr, die sich im westlichen Bereich von Maspalomas befand, dort, wo sich der Moloch aus modernen Hotels und Appartement-Anlagen immer weiter in die steinigen Hanglagen fraß. Wo bis vor Kurzem Einöde und spärlicher Bewuchs das Landschaftsbild prägten, waren neue Siedlungen und, dank künstlicher Bewässerung, parkähnliche Verhältnisse geschaffen worden. Die Sonne knallte bereits wieder gnadenlos von einem strahlend blauen Himmel.
Maronn, braun gebrannt, Ende 40, begrüßte seinen alten Geschäftsfreund knapp und gab ihm einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. »Die Welt wird schon nicht untergeh’n, Junge.« Auch in einer solchen Situation konnte Maronn den Überlegenen spielen, der einen unbeirrbaren Optimismus zur Schau trug. Brugger wusste diese Eigenschaft zu schätzen und wünschte sich, wenigstens ein bisschen davon zu haben. Maronn ging über eine Wendeltreppe voraus in ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer, das nach Süden hin eine große Glasfront aufwies. Der Blick schweifte über die Dächer einiger Häuser hinweg zum historischen Leuchtturm von Costa Meloneras, hinter dem das Sonnenlicht im wogenden Atlantik glitzerte. Brugger nahm diese traumhafte Aussicht gar nicht zur Kenntnis. Er fühlte sich matt und schwach, als sei ihm jegliche Energie entzogen worden.
Maronn hatte sich auf den Besuch vorbereitet und einen alkoholfreien Cocktail gemixt. »Da, trink erst mal, Junge. Das baut dich wieder auf.« Er hob das Glas, sodass sich Brugger der Aufforderung nicht entziehen konnte. Das erfrischende Getränk brachte tatsächlich neues Leben in seinen Körper. Maronn, der beim gestrigen
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