Blutsauger
hinter einem Tisch mit funktechnischen Einrichtungen saß.
»Der Chefarzt der Klinik wollte die Kripo sprechen. Ich hab das Gespräch zu Schmittke rübergegeben.«
»Und worum ging’s?«, zeigte sich Watzlaff interessiert und fühlte sich in seiner Einschätzung bestätigt, wonach mehr hinter der Unfallflucht steckte, als Schmittke wahrhaben wollte.
»Dieser Stuhler …« Der Polizist blätterte in seinen Papieren. »Dieser Dr. Stuhler – Ärztlicher Direktor ist der … , der hat mitgeteilt, dass der Schwerverletzte von heut Nacht gestorben ist. Und dass sie einen ungeklärten Todesfall hätten.«
»Die haben was?« Der Chef konnte nicht fassen, was er da hörte. Mit einer Hand in der Hosentasche und einer leicht gebückten Haltung wirkte er irgendwie angriffslustig, bereit zum Sprung und hellwach.
»Eine Angestellte ist wohl verstorben. Eine medizinisch-technische Assistentin. Vom Röntgen.«
»Wie? Einfach gestorben, in der Klinik?«
»Stuhler hat etwas von Herzversagen erwähnt, aber ich hab ihn gleich zu Schmittke rübergelegt. Soll der auch mal was zu tun kriegen.« Er grinste. »Damit der was von diesem Faschingswochenende abkriegt.«
Watzlaff frohlockte. Sein Unterbewusstsein spielte ihm bereits ein Szenario vor: Ein sympathischer Frauenarzt und eine Röntgenassistentin sterben in derselben Nacht. Wenn da keine tragische Beziehungsgeschichte dahintersteckte! Der Stoff, aus dem Liebesromane sind.
Die Vorfreude war getrübt. Eigentlich hatten die beiden Krankenschwestern Caroline Sauer und Melanie Winkler lange ausschlafen und an diesem letzten Tag vor der Abreise noch geruhsam Pizza essen gehen wollen. Doch die beiden Todesfälle, die sich wie ein Lauffeuer bei allen Klinikbeschäftigten herumgesprochen hatten, lagen bleischwer auf ihrem Gemüt. Als sie sich am frühen Nachmittag in Carolines Appartement hoch über der Stadt trafen, war die Freude über den nahen Urlaub in den Hintergrund getreten. Sie standen sich in der kleinen Küche gegenüber, beide an die Arbeitsplatte gelehnt, und versuchten sich gegenseitig Trost zu spenden. Doch alles, was sie redeten, drehte sich nur um zwei Fragen: Wie konnte dieser Unfall passieren? – und: Wieso starb eine 42-jährige Frau so plötzlich in derselben Nacht, in der Fallheimer angefahren wurde? War es bei beiden der Stress gewesen? Bei Fallheimer möglicherweise ein Problem, mit dem er sich in Gedanken beschäftigt und das ihn so unvorsichtig über die Straße hatte gehen lassen? Und war es bei Anja eine bisher unerkannte Krankheit?
»Das muss alles ganz schnell gegangen sein«, sagte Melanie in die Stille hinein. Ohne dass sie einen Namen erwähnte, wusste Caroline, dass Fallheimer gemeint war.
Melanie, gerade erst 30 Jahre alt geworden, schaute verlegen. Caroline schwieg. Sie sah in Gedanken den sympathischen Arzt vor sich und wollte sich nicht eingestehen, ihn niemals wieder sehen zu können. Und erneut spürte sie die innere Zerrissenheit, die sie seit einigen Monaten nicht mehr ruhig schlafen ließ. Ihr Blutdruck war jedes Mal regelrecht in die Höhe geschossen, wenn Dr. Fallheimer sie nur im Vorbeigehen angelächelt hatte. Und seit sich herumgesprochen hatte, dass er sich gerade anschickte, wieder Single zu werden, rechnete sie sich gewisse Chancen aus. Allerdings, das sagte ihr die Vernunft, gab es gewiss genügend junge Ärztinnen, die ebenfalls ein Auge auf ihn warfen. Warum sollte er sich da mit einer Krankenschwester abgeben, noch dazu mit ihr, die sie 18 Jahre jünger war. Andererseits jedoch, so hämmerte etwas in ihrem Kopf, standen Männer auf jüngere Frauen.
An ihr zogen die Bilder des strahlenden Arztes vorbei, der immer ein anerkennendes Wort parat hatte. Zwar schien es ihr, als habe sein positives Denken in den letzten Wochen einen Dämpfer bekommen. Eventuell waren es Stress und Verantwortungsdruck, die ihn psychisch belasteten, dachte sie. Außerdem wusste sie viel zu wenig über sein Privatleben. Aber seit sich herumgesprochen hatte, dass er von seiner Frau getrennt lebte, irgendwo in einem Haus bei Ulm, war er mehr denn je ins Bewusstsein des weiblichen Klinikpersonals gerückt. Auch sie selbst, das wurde ihr schmerzlich bewusst, hatte sich insgeheim einmal Hoffnungen gemacht.
Wie die meisten Krankenschwestern ihres Alters träumte die 25-Jährige von einer heißen Liebe zu einem Arzt. Natürlich wäre sie nicht die Erste gewesen, die sich diesen Wunsch hätte erfüllen können, jedoch waren bisher alle Versuche
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