Blutsauger
gescheitert – vielleicht, weil sie im Grunde ihres Herzens schüchtern war und darauf hoffte, dass der Mann ihrer Träume die Initiative ergriff. Nur waren es stets die Falschen, die sich für sie interessierten. Dr. Fallheimer wäre da ganz anders, sagte ihr Inneres. Sie erschrak über diese Gedanken, die sich ihrer ausgerechnet jetzt bemächtigten. Sie schluchzte, ließ sich auf einem unbequemen Designerstuhl nieder und versuchte, diese Gedanken loszuwerden. Gedanken, die sich ohnehin erübrigt hatten. Allerdings kam es immer wieder, dieses schale Gefühl der Eifersucht, das seit einigen Stunden von ihr Besitz ergriffen hatte. Seit ihr klar geworden war, dass auch Melanie weit über das kollegiale Maß hinaus um Fallheimer gebangt hatte, befürchtete sie, mit ihr nicht nur eine gute Freundin und Kollegin zu haben, sondern auch eine Konkurrentin. Was für unmoralische Gedanken!, wurde sie von ihrer inneren Stimme zur Ordnung gerufen. Nicht jetzt. Und schon gar nicht vor dem morgigen Abflug. Denn wenn sich diese Eifersucht ausbreitete, auf eine nur erträumte Beziehung, die es nicht mehr geben konnte, würde die nächste Woche erst recht schwierig werden, wenn sie beide um die Gunst von Elmar buhlten. Das war ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Für sie beide ebenso wie für diesen umschwärmten Doktor, der ausgerechnet sie beide zu einem Kurzurlaub eingeladen hatte. Warum beide?, dröhnte es wie seit Wochen schon in ihrem Kopf.
»Du mochtest ihn?«, riss sie plötzlich Melanies Stimme in die Realität zurück. Und sie hätte nicht sagen können, wie lange sie ihr schweigend gegenübergesessen hatte.
»Ich, ihn?«, stotterte Caroline wie ein ertapptes Mädchen. Es war ihr, als könne Melanie ihre Gedanken lesen. In ihrem Gesicht glaubte sie in diesem Augenblick, einen Anflug von Überheblichkeit zu erkennen. »Nein«, log Caroline deshalb, um schnell hinzuzufügen: »Fallheimer war ein sympathischer Kerl.« Sie lächelte gezwungen. »Nicht wirklich was für mich. Viel zu alt. Ich bin 25, wie du weißt – und er war 43.«
Melanie zog ein erstauntes Gesicht. »Als ob dies bei Männern eine große Rolle spielen würde.«
Caroline wollte die Stimmung nicht noch mehr verschlechtern. Die lange Nacht und die bösen Nachrichten an diesem Vormittag hatten schon genug des bitteren Nachgeschmacks hinterlassen.
Fallheimer war tot. Da lohnte es sich nicht, eine Diskussion über Gefühle anzuzetteln. Schon gar nicht, weil sie sich beide eingestehen mussten, ein ganz anderes gemeinsames Objekt der Begierde zu haben – nämlich Dr. Elmar Brugger, Anästhesist, ebenfalls 43 Jahre alt, verheiratet mit einer Professorin aus Ulm. Caroline hatte in ihren durchwachten Nächten oft versucht, sich diese Frau vorzustellen, in deren Begleitung Elmar nie aufgetaucht war. Gerüchteweise munkelte man bereits, Brugger sei womöglich gar nicht verheiratet oder vielleicht sogar geschieden. Er selbst hatte nur einige Male beiläufig von seiner Frau gesprochen und erklärt, sie sei wissenschaftlich tätig und Dozentin an der Uni in Ulm. Sie habe kein großes Interesse daran, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Melanie war schweigend zum Fenster gegangen und sah auf die graue Stadt hinab, über der ein dünner Nebelschleier schwebte. Als sei dies alles ein Spiegelbild ihrer Seele. »Weißt du, was ich mich dauernd frage?«, äußerte sie auf einmal, mit dem Rücken zu ihrer Kollegin gewandt.
Caroline blickte zu ihr hinüber, ohne eine Antwort zu geben. Sie spürte, was kommen würde. Etwas, das seit Wochen unausgesprochen zwischen ihnen stand, wie eine Mauer. Und nun würde das Gesagte eine Antwort erzwingen.
»Elmar nimmt uns beide mit. Warum tut er das eigentlich?« Melanies Stimme hatte ihren Klang verändert und jegliche Emotion verloren. Sie war sachlich und kühl geworden.
Caroline spürte, wie sich ihr Blutdruck erneut steigerte. Jetzt war es raus, jetzt würde sie die Eifersucht wie giftiges Gas umgeben. Bis jetzt hatten sie sich einfach auf die Reise gefreut, auf die acht Tage in der Sonne, fernab des winterlichen Geislingens. Doch von diesem Hochgefühl, das sich ihrer bemächtigt hatte, als Elmar in dem schnuckeligen Weinlokal mit dem Reisevorschlag herausgerückt war, schien nichts mehr übrig zu sein. Sie hatten sich gegenseitig etwas vorgemacht und dabei das Wichtigste totgeschwiegen oder verdrängt. Denn die Tage auf Gran Canaria würden Stress bedeuten, Stress und einen gnadenlosen Konkurrenzkampf. Wer würde
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