Blutsauger
müssen. Aber angesichts der möglichen Brisanz des Falles wollte er die Dame nicht auf Montagvormittag vertrösten. Er hoffte deshalb, dass es sich bei Brigitte Kollinsky nicht um eine Wichtigtuerin handelte, die aus Klatsch und Tratsch eine Zeugenaussage machen wollte.
Schmittkes erster Eindruck wischte diese Bedenken beiseite. Als sie ihm am Besprechungstisch gegenübersaß, wirkte sie sachlich und war frei von jenem Aussageeifer, den er befürchtet hatte. Die Frau war tatsächlich erst nach reiflicher Überlegung gekommen und weit davon entfernt, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Schmittke sicherte ihr Vertraulichkeit zu, wohl wissend, dass diese bei einer etwaigen Gerichtsverhandlung, bei der sie als Zeugin aussagen müsste, kaum Bestand haben würde.
»Sie kannten also Ihre Kollegin Anja Kastel seit Langem?«, fasste er die ersten Schilderungen der Frau zusammen.
»Ja, so ist es. Wir hatten oft gemeinsam Nachtdienst in der Ambulanz. Und wir verstanden uns auch privat sehr gut.«
Schmittke nickte und legte sich ein einziges weißes DIN-A4-Blatt zurecht. »Und nun ist Ihnen etwas eingefallen, was Ihnen Kopfzerbrechen macht?«, fragte er.
»Ja, so könnte man das ausdrücken. Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten. Ich hätte mir auch keine weiteren Gedanken gemacht, wenn das heute Morgen …« Sie brach ab und kämpfte für ein paar Augenblicke mit den Tränen.
Schmittke versuchte, auf sie beruhigend einzuwirken. »Inzwischen wissen wir, dass es kein Fremdverschulden war. Die Gerichtsmediziner haben eindeutig Herzversagen als Todesursache festgestellt.«
»Ach so«, zeigte sich Brigitte verwundert, »dann dürfte sich ja alles erledigt haben.«
»Nein, nicht ganz. Wir sind natürlich trotzdem an allem interessiert, was mit dem Tod dieser Frau zusammenhängen könnte.«
»Na ja«, Brigitte knöpfte ihren leichten Wintermantel auf und spielte mit den Trägern ihrer Handtasche, die sie vor sich auf den Tisch gestellt hatte. »Es ist eigentlich eine nur eher beiläufige Bemerkung, die Anja vor einigen Wochen mal gemacht hat. Wir haben uns damals über Fallheimer unterhalten. Ein sympathischer, netter Arzt.« Sie lächelte dezent und verlegen. »Der sich wohl von seiner Frau getrennt hatte. Na ja, wie das so ist unter Frauen – jedenfalls hatte ich den Eindruck, als ob sich Anja gewisse Hoffnungen gemacht hätte.«
Schmittke erwartete insgeheim, das übliche Intrigenspiel zwischen eifersüchtigen Frauen erzählt zu bekommen. Doch er behielt Geduld.
»Dann hat sie beiläufig gesagt, sie befürchte, dass es mit Fallheimer mal ein schlimmes Ende nehmen werde.«
»Ein schlimmes Ende nehmen werde«, wiederholte Schmittke langsam und bedächtig und notierte sich diese Worte. »Hat sie denn gesagt, was sie zu dieser Befürchtung veranlasst hat?«
»Er hat sich wohl mit irgendetwas verspekuliert. Irgendetwas Geschäftliches muss es gewesen sein, etwas, das aber nichts mit der Klinik zu tun hatte. Jedenfalls nicht direkt.«
Schmittkes Interesse stieg, zumal diese Andeutungen einen Betrugstatbestand vermuten lassen konnten – und das war schließlich sein ureigenstes Metier. »Sie meinen, er hatte irgendwo viel Geld verloren.«
»So genau wollte ich Anja nicht fragen. Ich hatte aber den Eindruck, dass er sie in etwas eingeweiht hatte, das – ja, sagen wir mal – möglicherweise nicht mit rechten Dingen zugegangen war.«
»In diesem Geschäft – oder auch hier in der Klinik?«
»Wenn ich das wüsste, würde ich Ihnen das sagen, Herr Kommissar. Aber es sei wohl so gewesen, hat Anja durchblicken lassen, dass Dr. Fallheimer so schnell wie möglich Abstand davon gewinnen wollte.«
»Sie meinen, er fühlte sich bedroht?«
»So deutlich hat das Anja nicht gesagt, aber wenn ich mir das alles so überlege, was sie mir berichtet hat – und das hab ich heute den ganzen Tag über getan, Herr Kommissar –, dann wäre dies immerhin möglich – oder meinen Sie nicht?«
Schmittke sagte nichts und zeigte weiterhin keine Regung. Er notierte sich ein paar Worte und hakte nach: »Das alles haben Sie auch schon Doktor Stuhler erzählt?«
»Nein. Hätte ich das tun sollen?«, fragte sie verunsichert nach.
»Nein, natürlich nicht. Das heißt mit anderen Worten, ich bin der Erste, dem Sie das anvertraut haben?«
»Sie und mein Mann, ja.«
»Auch mit keinem anderen aus der Klinik haben Sie darüber gesprochen? Mit anderen Ärzten oder Kolleginnen?«
»Nein, bestimmt nicht. Das war ja ein vertrauliches
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