Blutsauger
will keinen falschen Zungenschlag in dieser Sache.«
Der Kriminalist kannte die Befindlichkeiten innerhalb des hierarchisch organisierten Polizeiapparats nur allzu gut. Zwar gehörte es zu den ureigensten Aufgaben der Pressestellen, Verlautbarungen nach außen zu tragen – doch wenn davon ausgegangen werden konnte, dass ganze Heerscharen von Reportern mit Mikrofonen und Videokameras im Anmarsch waren, fühlten sich auf einmal ganz andere dazu berufen, Statements abzugeben. In diesem Fall aber, so Schmittkes tiefste Überzeugung, würde es gar nicht so weit kommen. Allerdings ließ ihn eine abschließende Bemerkung Baldachins aufhorchen.
»Haben Sie sich eigentlich mit Watzlaff wegen der Unfallflucht mit Todesfolge kurzgeschlossen?«
Schmittke, der vor seinem geistigen Auge die Klinikakte bereits zugeklappt hatte, antwortete mit der ihm eigenen kühlen Distanziertheit: »Kollege Watzlaff und ich haben heute Vormittag das Thema diskutiert und sind zu der Auffassung gelangt, dass es keine Verknüpfungspunkte gibt.«
»So, meinen Sie?« Baldachins Stimme hatte einen vorwurfsvollen Unterton angenommen, was Schmittke zu äußerster Wachsamkeit anregte.
»Wenn Anja Kastel eines natürlichen Todes gestorben ist, dann dieser Dr. Fallheimer erst recht. Es war ein tragischer Unfall«, entgegnete er ruhig.
»Ich empfehle Ihnen, die Sache im Interesse der Klinik nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, Herr Schmittke.«
»Ich nehme nichts auf die leichte Schulter«, gab sich der Kriminalist selbstbewusst. »Spätestens morgen Vormittag, wenn auch das Obduktionsergebnis über diesen Fallheimer vorliegt, werden wir die Fakten abgleichen und uns ein abschließendes Bild machen können.«
Baldachin legte eine kleine Pause ein. »Ich rate zu äußerster Sorgfalt – zu äußerster. Man hört nämlich so manches.«
Schmittke stutzte. Doch er wartete vergeblich auf detaillierte Hinweise des Direktionschefs. Stattdessen war Stille in der Leitung. »Kann ich aus Ihrer Bemerkung schließen, dass Sie andere Erkenntnisse haben als ich?« Schmittke sprach völlig emotionslos.
»Ich sagte bereits: Äußerste Sorgfalt ist angebracht. Wir reden morgen weiter. Guten Abend, Herr Schmittke.« Baldachin wartete keinen Gruß ab und legte auf.
Der Kriminalist hielt den Hörer noch für einen Augenblick in der Hand, ehe er ihn irritiert in die Schale legte.
Normalerweise hätte Brigitte Kollinsky, die Ambulanzkrankenschwester, diesen Faschingssonntag verschlafen. Denn nach einem Nachtdienst wie dem zurückliegenden fiel sie meist todmüde ins Bett. Heute jedoch war alles anders. Sie war nach einem kurzen Gespräch mit Dr. Moschin aufgewühlt heimgefahren – hinauf nach Oberböhringen, wo sie und ihr Mann vor einigen Jahren ein schmuckes Häuschen in bester Sonnenlage gekauft hatten, gerade mal neun Kilometer von der Klinik entfernt.
Ihr Mann hatte es gut gemeint und nach ihrem telefonischen Hinweis, eine Stunde später zu kommen, liebevoll ein Frühstück zubereitet. Doch dann konnte sie keinen einzigen Bissen davon genießen und nur eine Tasse starken Kaffee trinken. Dies allerdings musste sie schon nach wenigen Minuten mit heftigen Magen- und Darmkrämpfen büßen.
Ihr Mann, ein Computerexperte, entpuppte sich wieder einmal als guter Zuhörer. Er hatte ihre Schilderungen der morgendlichen Ereignisse und dem, was sie seither sehr bewegte, geradezu aufgesogen und ihr am Schluss empfohlen, sich noch an diesem Sonntag mit der Polizei in Verbindung zu setzen. »Wenn du ein ungutes Gefühl hast, Brigitte, dann solltest du das tun«, hatte er mehrfach gesagt.
Brigitte war hin und her gerissen. Zum einen ging es um eine ganz persönliche Sache zwischen ihr und Anja – andererseits spürte sie eine gewisse Verpflichtung gegenüber der verstorbenen Kollegin, etwaige Zweifel aussprechen zu müssen.
Brigitte Kollinsky bat ihren Mann um Verständnis, sich die Ereignisse noch einmal in Ruhe vergegenwärtigen zu wollen. Sie verbrachte den restlichen Vormittag auf dem Sofa, versuchte ihre Gedanken zu ordnen und logisch abzuarbeiten. Aber so sehr sie sich auch bemühte, ihr Innerstes zu beruhigen, es tauchten mehr Zweifel und Fragen als Antworten auf. Schließlich verspürte sie den Zwang, an die frische Luft gehen zu müssen – obwohl es hier oben auf dem höchsten Punkt weit und breit bei kaltem, böigem Südwestwind alles andere als angenehm war. Ihr Mann zeigte sich damit einverstanden, sie auf einem Rundgang um den hiesigen
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