Blutsauger
Gespräch zwischen Frauen, zwischen Anja und mir.«
»Auch nicht mit dem Ambulanzarzt – wenn man so nachts miteinander gearbeitet hat?«
Sie grinste. »Dr. Salbaisi, meinen Sie?«
»Ich weiß nicht, wie die Ärzte alle heißen, es könnte ja sein.«
»Nein, auch nicht mit Dr. Salbaisi.«
Dr. Claus Humstett wusste nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Längst war er auf der Schwäbischen Alb heimisch geworden. Er liebte diese sonnigen Höhenzüge und die Aussicht bis zum Horizont – auch wenn immer wieder behauptet wurde, dieser Landstrich sei rau und kalt, und vor allem neblig. Dies mochte zwar auf manche Tage im Jahreslauf zutreffen, doch überwog bei Weitem das Gefühl, in einer größtenteils noch intakten Umwelt zu wohnen – und trotzdem über die nahe A8 an das internationale Verkehrsnetz angeschlossen zu sein. Seit es den Truppenübungsplatz im benachbarten Münsingen nicht mehr gab und das riesige Gelände als Biosphärenreservat ausgewiesen war, genoss es Humstett, dort spazieren zu gehen oder ausgedehnte Radtouren zu unternehmen.
Dass Maronn eines seiner Forschungslaboratorien im neuen Gewerbegebiet von Laichingen eingerichtet hatte, unweit des großen Zentrallagers eines Gartenzubehörproduzenten, war ein Glücksfall gewesen. Aber wenn es nun nach Gran Canaria umgesiedelt werden sollte, würde er sich an eine völlig neue Umgebung gewöhnen müssen. In erster Linie bedeutete dieser Schritt einen erheblichen logistischen Aufwand, allerdings musste er sich darum kein Kopfzerbrechen machen, zumal es Speditionen gab, die auf Firmenumzüge spezialisiert waren und dies innerhalb kürzester Zeit würden bewerkstelligen können.
Humstett hatte den ganzen Sonntag über gearbeitet und sich nur mal von einem Pizzaservice etwas zum Essen bringen lassen. Wie er dies immer tat, seit er allein zwischen Büro und Labor hauste. In der provisorisch eingerichteten Küche türmte sich seit Tagen das ungespülte Geschirr und er selbst musste sich eingestehen, dass mal wieder eine Dusche fällig wäre.
Aber die Forschungsergebnisse der letzten Wochen ließen ihm keine Ruhe. Stundenlang konnte er mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern telefonieren, die sich auf Gran Canaria mit den Erkenntnissen beschäftigten, die er gewonnen hatte. Er besah sich die lange Reihe der Blutampullen, die in einem Glasschrank tiefgekühlt aufbewahrt wurden. Zwei Räume weiter überwachten elektronische Geräte die Vorgänge in einem großen Metallbehälter, den Humstett selbst voriges Jahr entwickelt hatte. Besessen von seiner Idee, waren ihm ständig neue Versuche eingefallen, über die er jedoch mit niemandem sprach – mit Maronn nicht und auch nicht mit den hochkarätigen Mitarbeitern auf Gran Canaria. Er genoss es, allein zu forschen, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen – und ohne von Kleingeistern irgendwelcher Kontrollinstanzen gegängelt zu werden. Wirklich Großes konnte nur gedeihen, wo es dem Geist erlaubt wurde, sich nach allen Richtungen zu entfalten – und zwar ohne Druck. Er jedenfalls, so schoss es ihm durch den Kopf, wäre trotz seines umfassenden Wissens niemals in der Lage, sich innerhalb eines Pharmazie-Riesen einzuordnen.
Während er die Jalousien seines Labortrakts elektrisch nach unten fahren ließ, weil die Sonne längst hinterm Horizont verschwunden war, machten sich die Gedanken in seinem müden Kopf selbstständig. Er fühlte sich als erfolgreicher Einzelkämpfer und war mehr denn je von seinen Idealen und seinen Zielen überzeugt. Doch so groß die Freude und Begeisterung über das bisher Erreichte waren, so fühlte er sich dennoch unendlich allein. Dabei fehlte ihm nicht nur seine Frau, sondern auch die Möglichkeit, sich gegenüber anderen zu öffnen und sie an seinem Erfolg teilhaben zu lassen.
Dies jedoch würde voraussetzen, dass er ihnen einen Teil seiner Pläne und Visionen verraten müsste – und das durfte auf gar keinen Fall geschehen. Es gab ohnehin nicht viele Menschen, die überhaupt in der Lage sein würden, ihm geistig zu folgen. Denn welcher Normalsterbliche vermochte schon zu ergründen, was es bedeutete, künstliche Gene zu produzieren. Oft war ihm, wenn er allzu leichtfertig über seine Tätigkeit gesprochen hatte, der Vorwurf gemacht worden, dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen zu wollen. Dabei war er nur einer von vielen, die sich mit dieser Materie befassten. In Bayern gab es sogar ein erfolgreiches Unternehmen, das pro Monat 3.000 künstliche Gene
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