Blutsauger
verdrängte jedes Mal den Gedanken an das verlorene Geld. Und die große Weltwirtschaftskrise des vergangenen Herbstes ließ wirklich keine Verbesserung seiner eigenen finanziellen wirtschaftlichen Situation erwarten. Einzige Hoffnung, aus diesem Dilemma herauszukommen, versprach er sich von dem gemeinsamen Unternehmen, dessen Fortbestand mehr als fragwürdig war.
Zwar vertraute er auf das Geschick und vor allem auf den ungebrochenen Optimismus von Maronn, aber die Zeiten, in denen alles glatt gelaufen war, schienen vorbei zu sein. Mit der Expansion im neuen Industriegebiet beim Flughafen von Gran Canaria und möglicherweise der Verlegung des Forschungsinstituts von Laichingen hierher würde die gemeinsame Gesellschaft zwar aus der Schusslinie deutscher Ermittlungsbehörden und Finanzämter genommen, doch wären sie gewiss weiterhin im Fadenkreuz globaler Wirtschaftsmächte. Warum, so hämmerte eine Stimme in seinem Kopf, warum hatten sie das Vorhaben nicht ganz offiziell angelegt. Gewiss, es hätte eines größeren Einsatzkapitals bedurft – was allerdings damals zugegebenermaßen ziemlich risikoreich gewesen wäre.
Brugger hatte sich auf eine der höchsten Dünen gesetzt und seine weiße Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Mit seiner Sonnenbrille, den kurzen weißen Shorts und einem hellen blauen T-Shirt wirkte er wie ein attraktiver Single, der nicht nur der landschaftlichen Schönheiten und des guten Wetters wegen nach Gran Canaria gekommen war – und schon gar nicht wegen geschäftlicher Termine. Irgendwie kam ihm der Schlager-Ohrwurm in den Sinn, der jeden Abend in der Bar gespielt wurde: ›Am Strand von Maspalomas …‹ Dort, so hieß es im Text, seien sie wieder alle da.
Er fingerte nach seinem kleinen Handy, das er in der engen Tasche seiner Shorts stecken hatte und das über die Firma im spanischen Netz angemeldet war. Die Nummer, die er anrief, brauchte er nicht zu wählen, sie war gespeichert. Während sich die Sonne jetzt, kurz nach 18 Uhr schon deutlich dem westlichen Horizont näherte, wollte er mit dem Abstand von über zwölf Stunden zu dem unangenehm verlaufenen Gespräch mit seiner Frau die Wogen wieder etwas glätten. Nach dem vierten Rufzeichen überkam ihn eine innere Unruhe. Denn nach dem Telefonat von heute früh hatte ihn ein Gefühl der Unsicherheit beschlichen. Was hatte seine Frau angedeutet? War sie nur besäuselt – oder ernsthaft verärgert? War sie womöglich schon aus der Wohnung ausgezogen? Hatte sie ihn heute Hals über Kopf verlassen? Nach einigen weiteren Freizeichen schaltete die Leitung automatisch ab.
Brugger unternahm einen neuerlichen Versuch auf dem Handy seiner Frau, doch dort teilte ihm eine elektronisch generierte Stimme mit, dass der Anschluss vorübergehend nicht erreichbar sei.
Er steckte das Gerät wieder in seine Tasche, erhob sich und entschied, sich den Abend an der Bar um die Ohren zu schlagen. Er musste abschalten, Abstand gewinnen und er brauchte Zeit für sich. Schließlich wollte er die beiden Mädels nicht enttäuschen, die sich von der Einladung gewiss viel versprochen hatten. Kaum war er ein paar Schritte durch den Sand gestapft, in dem er bis zu den Knöcheln versank, spürte er das Handy, das er auf Vibrieren geschaltet hatte. Plötzlich erfasste ihn eine unkontrollierte Aufregung. Er zog das Gerät aus der Tasche und fühlte, wie sich eine gespannte Erwartung seines Körpers bemächtigte. Seine Frau? Fernandez? Oder Maronn? Ein Blick auf das Display enttäuschte und beruhigte ihn gleichermaßen. Es wurde keine Nummer übertragen – stattdessen waren einige Worte in Spanisch zu lesen, die er nicht übersetzen konnte. Er zögerte einen Moment und entschied, mit dem Drücken der grünen Taste den Anruf anzunehmen. Nach einem knappen »Hallo« wartete er ungeduldig auf eine Antwort.
Eine männliche Stimme, die er zunächst nicht zuzuordnen vermochte, bellte ihm energisch ins Ohr: »Brugger? Ist dort Brugger?«
Der Angerufene drehte sich nach allen Seiten um, als befürchte er, jemand könne mithören. Doch da war niemand.
»Ja, Brugger«, bestätigte er mit unsicherer und zaghafter Stimme.
»Moschin hier. Wir sollten dringend etwas miteinander besprechen.«
25
Schmittke war über den Anruf des Polizeireviers nicht sehr erfreut gewesen. Er hatte sich nach der Rückkehr von dem Faschingsumzug in Donzdorf einen gemütlichen Abend im Kreise der Familie versprochen – und nicht damit gerechnet, noch einmal zur Dienststelle fahren zu
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