Blutsauger
waren sie endlich vor dem Gebäude angekommen, das aus zwei Hälften bestand, die beidseits des großzügigen Eingangsbereichs einen sanften Bogen beschrieben und einen Teil der Zufahrt architektonisch einfassten. Das Portal, das beide Bereiche miteinander verband, war ab dem zweiten Obergeschoss überbaut und bei genauem Betrachten eigentlich der öffentliche Zugang zu den Dünen. Dieser asphaltierte Fahrweg durchschnitt zwar den Hotelgarten, doch war dies mit einer Brücke und verschiedenen Gestaltungselementen genial kaschiert worden.
Die beiden Frauen nahmen ihre Koffer entgegen, die ihnen der Busfahrer aus dem unteren Gepäckfach herausgeholt hatte, und zogen sie zu dem mit Marmorfliesen gestalteten Bereich des Portals. Dort kam ihnen ein uniformierter Kofferträger entgegen, der sie überschwänglich begrüßte und die schweren Gepäckstücke in den rechten Hotelflügel brachte. Dann deutete er mit einer Handbewegung zur Rezeption, wo ihnen bereits ein Spanier zugrinste, dessen Namensschild am Revers des schwarzen Jacketts ihn als Señor Alvarez auswies.
»Herzlich willkommen, die Damen auf Gran Canaria«, rief er ihnen mit stark spanischem Akzent entgegen.
Die beiden Frauen, von der langen Busfahrt in frühlingshafter Hitze leicht erschöpft, erwiderten den Gruß mit einem knappen »Hallo« und legten ihre Pässe und die Hotelvoucher auf den Tresen. Während der Mann die Dokumente sorgfältig prüfte, sahen sich die Frauen um, denn Melanie hatte bereits von unterwegs vergeblich versucht, Elmar telefonisch zu erreichen. Zwar war ein Ruf auf sein Handy abgegangen, aber weder er noch die Mailbox hatten sich gemeldet. Anderseits kannte Elmar die Ankunftszeit des Flugzeugs und hätte sich ausrechnen können, wann in etwa der Bus eintreffen würde. Immerhin hatte er vor einigen Tagen versprochen, sie sofort an der Rezeption zu empfangen. Im Moment war er allerdings weit und breit nicht zu sehen. In dem in Goldfarben gehaltenen Foyer hielten sich zwar mehrere Personen auf, doch der Gesuchte war nirgendwo zu entdecken.
»Die Damen bleiben acht Tage«, stellte der Hotelangestellte beim Blick auf seinen Computerbildschirm fest. »Ihr Wunschzimmer ist reserviert.«
Caroline staunte. »Wunschzimmer?«
»Ja, Wunschzimmer. Nummer 3054. Hat Señor Brugger bestellt.« Er lächelte dezent. »Ist gleich neben ihm.«
Die beiden Frauen sahen sich verwundert an.
»Sehr schönes Zimmer, übrigens. Dritter Stock, Blick auf Meer«, schwärmte der Spa2nier und tippte irgendwelche Daten in seine Computertastatur. »Er hat gleich zweiten Essenstermin gebucht. 20 Uhr.« Die Frauen wussten, was gemeint war: Einige Touristenhotels boten für ihre Halbpensionsgäste das Abendessen in zwei Schichten – meist um 18 Uhr, wofür sich erfahrungsgemäß die Rentner entschieden, und um 20 Uhr für jene, die entweder tagsüber Ausflüge machten oder später als Nachtschwärmer durch Discos und Bars zogen.
Der Mann legte zwei Hotelschlüssel auf den Tresen. »Für jede von Ihnen eine Schlüssel«, sagte er und ließ mit dem fehlenden ›n‹ erkennen, dass er die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschte. »Koffer werde inne Zimmer gebracht.« Er lächelte charmant und wünschte »den Señoras« einen angenehmen Aufenthalt.
»Oh, beinahe hätte ich es vergesse«, hielt er sie vom sofortigen Weggehen ab. Er drehte sich um und griff in eines der Ablagefächer. »Es ist eine Brief für Sie gekomme.« Der Spanier legte ein weißes Kuvert auf den Tresen, das den Absender und das Logo des Hotels trug. Handschriftlich waren die Namen der beiden Frauen vermerkt. Nachdem sie kurz zögerten und zunächst keine von ihnen es an sich nehmen und öffnen wollte, erklärte der Mann: »Wurde heute Nacht hier meine Kollege abgegebe.« Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit, um nicht indiskret zu wirken.
Melanie hatte das Kuvert schließlich an sich genommen und schlug ihrer Freundin vor, zu einer der gepolsterten Sitzgruppen zu gehen, die abseits der Rezeption etwas erhöht standen. Sie setzten sich, zogen ihre kurzen Kleidchen lang und fühlten sich plötzlich wie auf dem Präsentierteller. Die wenigen Personen, die zwischen Gepäckwagen auf ein Taxi oder einen Shuttlebus warteten, musterten sie mehr oder weniger unauffällig.
Während Caroline dies beobachtete und angestrengt nach einem bekannten Gesicht Ausschau hielt, riss Melanie das Kuvert auf. Heraus kam ein weißes Blatt Papier, das nur vier handschriftliche Zeilen trug.
Liebe Caroline,
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