Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutsbraeute

Blutsbraeute

Titel: Blutsbraeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
Vom Netzwerk:
der vom Laufen gestrafften Muskulatur ihrer Schenkel. Über der schmalen Taille weitete sich der Brustkorb mit dem kleinen, gerundeten Busen, der erst seit Kurzem ein wenig schlaffer wurde. Falls nötig, ließ sich das noch mit einem kalten Wasserguss kaschieren oder mit einem gezielten Fingerstrich über die Rippen. Ihr Bauch war straff, die narbenlose Haut spannte sich über ihrem Becken. Sie schlang das lange Haar auf dem Kopf zusammen,
enthüllte ihren schön geschwungenen Nacken und die Wölbungen ihrer Schultern. Es war ein guter Körper. Einer, der die Aufmerksamkeit mehrerer Männer und auch die von etlichen Frauen auf sich gezogen hatte.
    Aber das war nicht der Körper, den Clare sah. Der Körper, den sie sah, wenn sie nackt war, das war der Körper ihrer Schwester Constance. Sie waren gleich groß. Aber wo Clares Körper muskulös war, da war der von Constance weich. Ihre Schenkel und Brüste überzog ein Zickzackmuster aus Narben, die Messerspuren der Bande, die Constance beim Initiationsritual zweier neuer Mitglieder missbraucht hatten. Ihr Rücken trug jetzt unleserlich gewordene brutale Signaturen, die eingeritzten Initialen der Täter. Ihr linker Wangenknochen war so scharf geschwungen wie ein Starenflügel; der rechte war nach der Zerschmetterung rekonstruiert worden. Der Hammer war an ihrem Schädel abgerutscht. Aus unbekanntem Grund hatten die Männer – wie viele oder wer es gewesen war, hatte Constance nicht zu sagen vermocht – den tödlichen Schlag unterlassen. Vielleicht waren sie gestört worden, oder die blutige Masse, zu der Constance geworden war, hatte sie gelangweilt. Und so hatte sie überlebt. Das hüftlange Haar verbarg ein zerstörtes Gesicht. Und die kalte Schlange der Angst rollte sich in ihrem mageren Körper zusammen.
    Das war der Phantomkörper, den Clare im Spiegel sah. Clare ließ ihr Haar wieder herunterfallen und die vertraute Halluzination verschwand. Sie ging zurück unter die Dusche und rieb sich ab. Das Wasser war so heiß, dass sie die Tränen nicht bemerkte, die ihr über die makellosen Wangenknochen liefen.

9
    Die Schiebetür war offen; die Morgendämmerung hatte zu Clares Überraschung trotz des unruhigen Seegangs etwas Versöhnliches. Clare saß auf dem Sofa, der Schweiß vom Laufen trocknete schon. Sie vergaß ihren Kaffee, als sie den Sonnenaufgang beobachtete, das Licht, das sich auf dem weißen Fußboden widerspiegelte. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand offen. Das Zimmer war leer bis auf das Bett und ein Bücherregal, das eine Wand für sich einnahm. Die Bücher waren die einzigen Farben in Clares Heiligtum, zu dem auch der einzigartige Ausblick auf den Atlantik gehörte. Die Berge, von der Sonne in ein leuchtendes Rosa getaucht, waren eine auf dem Marsch zur rauen Westküste erstarrte Armee. Clare sehnte sich plötzlich nach jener nicht enden wollenden Küstenstraße, die sich am Fuß der Berge entlangschlängelte und zu dem Steinhaus im Schatten staubiger Eukalyptusbäume führte. Es war von der Straße aus nicht zu sehen gewesen. Um dieses ferne, längst verlassene Farmhaus ihrer Kindheit herum hallte Constance’ Stimme immer noch fröhlich wider, gemeinsam mit der ihren.
    Clare stand auf, schüttelte die Erinnerungen ab und streckte die steif werdenden Muskeln. Sie ging zum Telefon und gab, den Hörer in der Hand, mit dem Daumen die Nummer ein, deren Ziffern sie ohne an die Reihenfolge denken zu müssen, auswendig kannte. Sie ließ es klingeln. Drei… vier… fünf.
    Der Anruf ermöglichte es ihr, sich noch ein wenig vor ihrer Arbeit zu drücken. Sieben… acht. Ein neuntes
Klingeln … In Clare stieg Panik auf, wie immer, wenn jemand nicht da war, wo er hingehörte.
    Â»Hallo … Verdammt! Das Telefon. Hallo? Hallo?« Ihre geliebte Schwester schaffte es mit vierzig noch immer nicht, ein Telefongespräch entgegenzunehmen, ohne den Apparat fallen zu lassen.
    Â»Julie! Ich bin noch dran. Ich bin’s, Clare.« Ihre Panik löste sich auf.
    Â»Liebling! Wie geht es dir? Wo hast du gesteckt? Wolltest du mich nicht anrufen?« Julie hatte die Sprechweise ihrer Mutter übernommen – ein exaltierter Redefluss, der sich über jeden in Hörweite ergoss. »Hier ist es ein bisschen chaotisch. Aber komm doch zum Essen. Heute Abend, oder vielleicht lieber am

Weitere Kostenlose Bücher