Blutsbraeute
Tochter.«
»Darf ich das aufzeichnen?«, fragte Clare und machte ihre Kameratasche auf.
Natalie zuckte die Achseln. »Warum nicht?«, sagte sie.
Clare nahm die Videokamera aus der Tasche, klappte die Beine des Stativs auseinander und stellte die Kamera auf. Natalie strich sich das Haar zurecht, fuhr sich über die Mundwinkel, die instinktiven Gesten, die eine Kamera auslöst. Sie setzte sich aufrecht auf das Bett und zog sich den Rock über die Knie.
»Soll ich Sie ansehen oder dorthin?« Sie zeigte auf das Objektiv.
»Sehen Sie mich an«, sagte Clare. »Vergessen Sie die Kamera einfach. Ich stelle Ihnen ein paar Fragen. Machen Sie sich keine Sorgen, ob Sie das Richtige oder Falsche sagen. Reden Sie einfach mit mir.«
Natalie nickte.
»Sagen Sie mir, wer Sie sind und woher Sie kommen«, sagte Clare.
»Ich bin Natalie Mwanga«, sagte sie. »Ich bin fünfunddreiÃig und aus dem Kongo nach Südafrika gekommen. Der Cousin von meinem Vater ist eines Tages zu mir gekommen und hat gesagt: âºDu gehst hier kaputt. Geh doch nach Südafrika, dort findest du Arbeit, dort findest du alles, was du willst. Geh und fange ein neues Leben an.â¹ Ich habe nicht gewusst, was er damit gemeint hat. Als wir dann in Südafrika waren, hat er gesagt: âºDu musst alles tun, was ich dir sage.â¹ Und am Nachmittag ist er mit seinen Freunden gekommen. Das war hier in
Kapstadt. Er hat gesagt: âºWenn du mit den Männern hier Sex machst, bekommst du eine Menge Geld.â¹ Ich habe nicht gewollt, aber sie haben mich gezwungen.«
Die Stimme der Frau wurde schwächer. »Wissen Sie, wie das ist? Wie man sich dabei fühlt?« Clare schüttelte den Kopf.
»Ich habe geweint. Ich habe mich so schlecht gefühlt. Ich habe jeden Tag geweint, jedes Mal. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen.«
»Haben die Männer Ihrem Onkel Geld gegeben?«, fragte Clare.
»Ja, sie haben ihm Geld gegeben. Ich weià aber nicht, wie viel. Als ich ihn gefragt habe, hat er gesagt: âºDas geht dich nichts an. Du isst hier, du trinkst hier, und du schläfst hier. Wozu musst du wissen, wie viel sie mir geben?â¹ Ich hatte furchtbare Angst vor Aids. Aber Gott liebt mich. Ich habe den Test gemacht und bin gesund. Ich bin gesund.« Natalies Gesicht verwandelte sich und strahlte vor Freude, weil sie verschont geblieben war.
»Wie sind Sie entkommen?«, fragte Clare.
»Es war ein Samstag, glaube ich. Er hatte die Vordertür abgeschlossen, aber die Hintertür vergessen. Ich bin nicht zur Polizei gegangen. Ich habe nicht gewusst, wo die ist. AuÃerdem hatte ich keine Papiere. Als ich meinen Onkel einmal nach meinen Papieren gefragt habe, hat er gesagt: âºDein Ausweis bin ich.â¹ Also bin ich zu meiner Freundin gelaufen. Sie hat gesagt: âºIch kann dir nicht helfen. Mein Haus ist klein, und vielleicht will mein Freund nicht, dass du hier wohnst.â¹ Sie hat gesagt, ich soll zur Kirche gehen. Das habe ich gemacht und
habe Hilfe bekommen. Ich war vier Tage in der Kirche, dann ist Shazneem gekommen und hat mich ins Frauenhaus geholt.«
»Und Ihre Angehörigen?«, fragte Clare.
»Ich habe eine Tochter in meinem Land. Sie ist dreizehn und sehr schön. Ich habe groÃe Angst um sie.« Natalie hatte nur ein paar Fragen gebraucht, um ins Erzählen zu kommen, aber jetzt verstummte sie.
»Ich habe solche Angst vor dieser Kamera«, sagte Natalie plötzlich. Die leise Bewegung ihrer Stimme verursachte eine schwache Luftbewegung, die kleine Staubkörnchen im Licht zwischen ihnen aufwirbelte.
»Warum?«, fragte Clare und machte die Kamera aus.
»Als ich neu in Kapstadt war, haben ein paar Männer in einem groÃen Haus einen Film mit mir gemacht. Das Haus hieà San Marina Mansions. Diese Männer haben meinen Onkel auch bezahlt.« Natalie schwieg. Clare schaltete die Kamera wieder ein.
»Sprechen Sie weiter«, sagte sie. Das Band reichte noch für weitere fünf Minuten.
»Diese Männer haben mir meine Kleider weggenommen. Sie wollten mir zeigen, wie man Liebe macht. Ich habe gesagt: âºIch bin eine verheiratete Frau. Ich weiÃ, wie man das macht.â¹ Sie haben gelacht und mir andere Sachen zum Anziehen gegeben. Eine Frau hat mir geholfen, weil ich nicht gewusst habe, wie man diese Sachen trägt.« Sie machte eine Pause und sah auf ihre Hände hinunter. Sie waren breit und kräftig, mit stark
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