Blutsbraeute
abgekauten Nägeln. »Ich habe mich so geschämt«, flüsterte sie. »Sie haben mich gefilmt, und ein Mann ist dabei gewesen, der hat immer gesagt, was ich genau machen
soll. Manchmal hatte er auch die Kamera, aber meistens hat mich ein anderer Mann gefilmt.«
»Was mussten Sie tun?«, fragte Clare. Das Band war zu Ende, klickte in das Schweigen.
Natalie hob den Kopf. »Darüber will ich nichts sagen. Ich schäme mich so sehr deswegen. Ich musste die Männer jedenfalls anbetteln wie ein Hund, dass sie mir wehtun sollten. Es war schlimmer als der Sex mit den vielen Männern. Das ist jetzt vorbei, denn jetzt bin ich hier, und hier fühle ich mich sicher. Aber das mit dem Film, das ist nie vorbei. In dem Film bin ich immer wieder zu sehen, und ich weià nicht, wem er gezeigt wird und wie oft.« Sie wischte die Tränen weg, die in ihren Augen aufgestiegen waren. »Wenn Sie den Film finden und ihn mir bringen â vielleicht hört es dann auf?«
Clare schaltete die Kamera ganz aus. »Falls ich ihn sehe, werde ich versuchen, ihn zu bekommen. Danke, Natalie.« Sie packte ihre Sachen ein und machte sich zum Gehen fertig.
»Frau Dr. Hart, Sie haben meine Geschichte für Ihren Film. Jetzt möchte ich Sie um etwas bitten.«
»Um was?«, fragte Clare. Ihr Magen zog sich zusammen.
»Es geht um meine Tochter. Helfen Sie mir, sie hierherzubringen, wo sie sicher ist. Wo sie zu essen hat und zur Schule gehen kann.« Natalie reichte ihr ein Blatt Papier. Es hatte Eselsohren und sah aus, als wäre es unzählige Male glatt gestrichen worden. Unter dem Briefkopf des Roten Kreuzes war das Foto eines jungen Mädchens einkopiert. Das Datum des Briefes lag ein halbes Jahr zurück.
»Sie kennen die richtigen Leute. Ich habe Ihren Film im Fernsehen gesehen«, sagte Natalie.
Clare nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Die Anspannung in Natalies Schultern lieà nach, als Clare die Informationen über ihre Tochter durchgab.
»Das war der Direktor des südafrikanischen Flüchtlingszentrums«, sagte Clare. »Er wird Ihre Anfrage weiterleiten. Die werden dort tun, was sie können, und Sie informieren, sobald Ihre Tochter ausfindig gemacht worden ist.«
»Gut.« Natalie schien zufrieden mit der Transaktion.
Das Interview war vorüber, und Natalie sah erschöpft aus. Auch Clare fühlte sich ausgelaugt und war froh darüber, dass sie eine Thermosflasche mit Tee im Auto hatte. Vor ihrem nächsten Gespräch würde sie ihn brauchen.
8
Clare saà hinter dem Steuer ihres Wagens. Sie presste die Hände an die Schläfen und versuchte, das Grauen, das dort pulsierte, wegzusperren. Dann drehte sie den Schlüssel im Zündschloss, und das Auto sprang schnurrend an. Die StraÃe war unbelebt und trostlos bis auf ein paar herumspringende Kinder, die sie zum Abbremsen zwangen, bevor sie nach rechts abbog. Jemand hatte einen betonierten Gartenweg mit Petunien zu verschönern versucht, aber die zarten rosa Blütenblätter waren
vom Südostwind längst verwüstet worden. Clare wandte sich ab. Sie achtete nicht besonders auf das weiÃe Auto vor ihr, das nach links blinkte, in Richtung des majestätischen Tafelbergs im Süden.
Clare fuhr nach rechts, überquerte in einer Verkehrslücke die SchnellstraÃe und wechselte dann die Fahrtrichtung. Sie fuhr nach Norden, wo die Berge sich zu Hügeln und Weizenfeldern verliefen. Sie hielt Ausschau nach dem Schild zur Serenity Farm, deshalb bemerkte sie nicht, dass das weiÃe Auto auf einen Rastplatz fuhr. Selbst wenn es ihr aufgefallen wäre, hätte sie einen zu groÃen Abstand gehabt, um zu sehen, welche Wut ihr plötzliches Verschwinden bei dem Fahrer auslöste.
Wie immer tauchte die ausgebleichte Schrift auf morschem Holz überraschend plötzlich hinter einer Kurve auf. Clare bog abrupt nach links ab. Hinter ihr hupte jemand. Und dann war kein Verkehrslärm mehr zu hören. Ãber der Zufahrt streckten die uralten Eukalyptusbäume die Zweige nacheinander aus, umschlangen sich und schufen so einen Bogengang zum Haus in der Ferne hin, der mit seinen Lichtreflexen wie das Schiff einer Kathedrale wirkte. Clare fuhr die Fahrrinnen entlang und wich dabei den Schlaglöchern aus, die sich, seit sie den Weg benutzte, von Jahr zu Jahr verschlimmert hatten. Diese Zufahrt war die Brücke zwischen ihrer Welt und dem abgeschiedenen
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