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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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geflüchtet.“ Der Richter nimmt das Fahndungsblatt und studiert es. „Das könnte stimmen. Wann sind Sie aus H… geflüchtet?“ Ludwig gibt das Datum an, esstimmt mit den Angaben im Fahndungsblatt überein. Der Richter ist jetzt überzeugt, daß Ludwig die Wahrheit sagt. Da Ludwig bezüglich des Gepäckscheines bei seinen Angaben bleibt, ist die Vernehmung beendet. Die Akten des Fürsorgezöglings Ludwig N. werden aus H. angefordert. Das weitere ist Sache der Staatsanwaltschaft. Ein roter Schein wird ausgefüllt. Schicksalsschein. Haftbefehl! Klingelzeichen: Abführen .
    Ein Wachtmeister bringt Ludwig in die Gefängniskanzlei. Im Hammelstall , einem durch eine halbmannshohe Mauer von der Kanzlei abgetrennten Raum soll er warten. „Haben Sie Geld oder Wertsachen bei sich?“ fragt der Kanzleibeamte. Ludwig gibt ihm die Mark, die er von dem Spitzbuben bekommen hat. Dann wird er ins Gefängnis geführt. Vor ihm der endlose Korridor, links und rechts, eine wie die andere, Zelle neben Zelle. Braune eisenbeschlagene Tür neben brauner eisenbeschlagener Tür. Nur die Nummern der Türen, die auch Nummern der Gefangenen sind, lauten anders. In der Aufnahmezelle wird Ludwig aufgefordert, seine Taschen zu leeren. Alles wird ihm abgenommen. Dann nimmt ihn eine Einzelzelle auf, und er ist sich selbst überlassen. Ein knochenhartes, zerlegenes Feldbett mit blauweißem Bezug und zwei Wolldecken. Ein Schemel, ein Wandregal zum Abstellen des Eßnapfes, ein Trinkbecher und eine Wasserkanne. In der Ecke ein stinkendes Klosett. Für einen Tisch hat die Zelle keinen Raum.
    Draußen auf dem Flur krachen die Nagelschuhe derWachtmeister auf die Fliesen. Ein Auge blickt durch den Spion in der Tür, beobachtet die Häftlinge bei der Verrichtung ihrer Notdurft wie auch bei ihren Träumen von Freiheit und Mädchen … Klirren und Schließen an Ludwigs Zellentür. Das Hineinstoßen des großen Schlüssels ins Schloß trifft Ludwig wie ein elektrischer Schlag. „Kommen Sie raus.“ Er wird einem Zivilbeamten übergeben, der ihn zum Erkennungsdienst führen soll.
    Treppauf, treppab durch Winkel und unabsehbare Korridore des verbauten Riesengebäudes. Ein großes, helles Zimmer im Parterre. Stadtbahnzüge sausen vorüber. „Gehen Sie da rein.“ Man weist Ludwig in einen Käfig aus weitmaschigem Draht. Ludwig setzt sich neben ein wimmerndes junges Mädchen. Fast ein Kind noch. Was mag dieses verheulte Mädel verbrochen haben? Jedenfalls wird es gemessen, daktyloskopiert, photographiert en face und Profil, mit und ohne Hut, mit und ohne Mantel, als sei es eine gefährliche Verbrecherin. Ludwig ist an der Reihe. Er muß sich die Hände waschen. „Sonst wird infolge des Fingerschweißes der Abdruck undeutlich“, erklärt der Beamte. Er nimmt Ludwigs rechte Hand und drückt die Fingerspitzen sanft auf eine Platte, die vorher mit Druckerschwärze bewalzt worden war. Dann nimmt er jede Fingerspitze einzeln und drückt sie in eine bestimmte Rubrik des vorbereiteten Personalienbogens. Genau so wird mit der linken Hand verfahren. Die Fingerabdrücke aller zehn Finger sowie jeder Hand sind für alle Zeiten rubriziert. Zum Photographieren. Ein weiß ausgehängter Raum. Auf einemrechteckigen Podium muß Ludwig Platz nehmen. Hinter seinem Rücken schieben sich Richtleisten in die Höhe, auch seitlich bestimmen die Leisten den kerzengeraden Sitz des zu photographierenden Delinquenten. Grelles Licht flammt auf. Eine Profilaufnahme ist gemacht. Der Beamte rückt an einem Hebel. Ludwig sitzt, ohne sich gerührt zu haben, en face. Noch einmal die Prozedur mit Mütze, und Ludwig wird in seine Zelle geführt. — —



Willi Kludas erwacht von einem furchtbaren Druck. Ein schwerer Gegenstand, der ihm das Atmen unmöglich macht, liegt auf ihm. Völlig wach öffnet er die Augen. Er sieht nichts, gar nichts. Unter ihm geht es rattatata … rattatata. Erst allmählich kommt Willi zur Besinnung, wo er überhaupt ist. Ja, er ist geflüchtet, ist auf eine Eisenbahnlore geklettert und hat sich zwischen die Holzwolle gelegt. Und ein verrutschter Ballen Holzwolle ist es, der auf ihm liegt. Anheben kann er den Ballen nicht. Mühselig quetscht und windet er sich so lange, bis er auf dem Bauch liegt, dann zieht er sich langsam unter dem Ballen hervor. Als er am hinteren Ende der Lore die schwere Regenschutzdecke löst, sieht er endlich, daß es Nacht ist. Der Zug bummelt gemächlich dahin.
    Im Bremserhäuschen des Waggons hinter seiner Lore sieht Willi plötzlich ein

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