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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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Zöglings Ludwig N. ausweisen. Alles in Ordnung, man übergibt ihm den umfangreichen Akt und dann muß er quittieren, daß er Akt und Zögling dankend erhalten hat. Für Berlin ist Ludwig erledigt, er wird aus dem Hammelstall gelassen und dem Transporteur übergeben. Der Dicke sieht sich den Jungen kurz an. „Denn komm man mit. Morgen, meine Herren.“ Unten, auf dem Hof des Präsidiums macht er halt. „Nun paß mal auf, Ludwig. Ich heiße Hackelberg, du weißt, ich soll dich nach H. in die Anstalt bringen. Wir fahren jetzt mit der Untergrund bis zum Potsdamer Platz und gehen dann zum Anhalter Bahnhof. Eigentlich muß ich dich hier in Berlin an die Leine nehmen, hier — er zeigt Ludwig eine Knebelkette —, aber was macht das für einen Eindruck, nich? Also sei hübsch vernünftig, mein Junge, und mach keine Faxen. Wenn du versuchst auszukratzen, muß ich dir sofort das Armband umlegen. Sind wir uns einig?“ Ludwig antwortet brav mit „Ja“ und sieht begehrlich auf die Zigarre, die sich Herr Hackelberg eben anzünden will. „Möchtest woll gern rauchen? Wolln mal sehen, wo wir ein paar Glimmstengel kaufen können“, reagiert der Transporteur auf Ludwigs Augenbetteln.
    Und jetzt gehen sie inmitten des Straßentrubels. Herr Hackelberg, sonst uninteressiert, lutscht an seiner Zigarre und gibt Ludwig Verhaltungsmaßregeln für die Bahnfahrt. Ludwig fühlt wieder Pflaster unter seinen Füßen, ihm wird schwindlig wie einem Kranken, der monatelang nicht aus dem Bett gekommen ist. Die vielen Menschen, die Läden, da drüben Tietz, die Mädels … ach ja, die Mädels. Die wenigen Schritte sindgemacht, hinunter zum U-Bahnsteig. Am Tabakkiosk kauft Herr Hackelberg zehn Zigaretten. „Hier Ludwig, qualm …“ Ludwig bringt kaum ein „Danke“ heraus. Jemand ist nett zu ihm und schenkt ihm Zigaretten? Fast unglaubwürdig ist es. Hackelberg muß ihm erst Feuer hinhalten, ehe er es wagt, die Schachtel zu öffnen. Da quillt es heiß aus ihm heraus: „Ich danke … ich danke auch schön, Herr Hackelberg. So nett war lange keiner zu mir …“ Wie lange hat er nicht geraucht? Die letzten Zigaretten waren von Jonny. Er schluckt, er inhaliert den Rauch förmlich und gibt ihn in dichten Wolken wieder von sich.
    Da kommt ihr Zug. Trotz des Gedränges versteht Herr Hackelberg es ausgezeichnet, Ludwig stets neben sich zu haben. Er hat ihm auch noch seine Aktenmappe und den kleinen Koffer gegeben. Die Sachen muß er erst mal hinwerfen, wenn er flitzen will, und dann hab ich ihn schon wieder, denkt er. Auf dem Bahnhof Friedrichstadt müssen sie umsteigen. Das Gewimmel auf der zentralen unterirdischen Umsteigestation ist beängstigend. Alles geht, läuft, hastet gegeneinander und durcheinander. Der Berliner versäumt nicht gern einen Zug. Das bedeutet zwei Minuten warten müssen! Selbst der Arbeitslose springt noch auf den anruckenden Zug auf. Das liegt noch so im Blut von früher, als man im glücklichen Besitz einer Stellung war …
    Ludwig wurstelt sich mit Koffer und Mappe durch das Gewühl. Neben ihm, stets auf dem Sprung: Hackelberg. Sie müssen durch den langen Tunnel, den Schwindsuchtsgang. Zwei junge Männer drängen sich durch den Menschenstrom, rücksichtslos zwängen sie sich vor, um noch den Zug jenseits des Tunnels zu erreichen. „Mensch, nu loof aba! Nu renn aba“, ruft der eine, dann hat die Welle sie beide verschluckt. „Mensch, nu loof aba“, das Wort heimelt Ludwig an, weckt ihn auf: Nu loof aba! Das flüstert, das fordert ihn auf, das stößt ihn in die Rippen: Jetzt, Mensch, laufe, renne, türme, flitze, verschwinde!! Vergessen ist das Gefühl der Dankbarkeit wegen der zehn Zigaretten. Ein anderes Gefühl, der Drang nach Freiheit spült alles hinweg.
    Patsch! Mappe und Koffer liegen vor den Beinen des Herrn Hackelberg und sperren ihm den Weg. Ludwig bahnt sich mit den Fäusten einen Weg, saust die Treppe hinunter in den Tunnel. Teilt mit beiden Armen den Menschenschwarm, quetscht, windet, drängt sich durch jedes Loch, rennt immer an der Wand entlang, da ist noch am ehesten Platz. Niemand ist erstaunt über die Eile des Jungen, nur geschimpft wird über den Puff in die Seiten, über den Tritt auf die Hacken. In Ludwig brüllt es: Mensch, nu aba renn … renn … sonst hat er dich! Gleichzeitig überlegt er blitzschnell: Wohin? Wenn ein Zug dasteht: hinein. Sonst auf die Straße und in einen vorüberfahrenden Omnibus. Der Bahnsteig. Ein Zug ist im Abfahren. Hat schon Tempo. Auf die Tür … ein Stück

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