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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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geschenkt bekommen zu haben. Wenn auch nur für sechs Monate, aber das erscheint ihm eine ewig lange Zeit.
    Er schließt sorgfältig ab, denkt kurz an seine Kaninchen (»Tiere mag ich nicht besonders«, sein grau gelockter Vermieter) und springt die drei Stockwerke hinunter, als müssten seine Füße die Stufen nicht berühren, als gleite er, ein Sieger, auf heller Luft durch den Raum.
    »Das Ganze funktioniert nicht«, sagt Marvin und Cora pflichtet ihm wortlos bei.
    Sie sitzen auf den Bänken eines versteckten Platzes in einer verwilderten Grünanlage, die von dichtem Gebüsch umstanden ist, von Bäumen und Gesträuch. Das Gelände grenzt an die bemooste Mauer eines kaum mehr gepflegten Friedhofs nahe einer backsteinroten Polizeikaserne.
    Kommt der Wind von Süden, riecht man das Kerosin des Flughafens, kommt der Wind von Westen, spürt man die Nähe eines moorigen Sees, der in einer ausgedehnten Kolonie verwinkelter Kleingärten liegt. Nicht weit entfernt steht die Moschee, etwas näher ragt der Turm der trutzigen katholischen Kirche auf.
    Gewöhnlich treffen sich auf dem Platz die türkischen Jungen der Umgebung, meist kleinere Jungen, die Fußball spielen oder herumlungern, mit Fahrrädern durch die Büsche und über die Erdhügel fahren, die entlang der Friedhofsmauer angehäuft worden sind.
    Darius kennt den Platz von früher, ein Platz, den er meist gemieden hat, der ihn aber trotzdem auf magische Weise anzog. Verborgen im Gebüsch beobachtete er die türkischen Dickmänner, wie sie, immer vergeblich, versuchten, eines der wenigen deutschen Mädchen zum Bleiben zu überreden, bis es dunkel wurde. Von den Erdhaufen aus konnte er leicht über die Friedhofsmauer klettern, um zwischen den verwilderten Grabstellen und den teils eingestürzten, ehemals prächtigen Mausoleen auf Erkundungstour zu gehen.
    »Klar«, murmelt Marvin jetzt, »wenn wir irgendwo auftauchen, nehmen sich die Jüngeren zusammen, einfach, weil wir da sin d – sofern sie uns bemerken und falls es nicht zu viele sind. Aber was soll das Ganze? Sollen wir uns, sobald was vorfällt, wie Darius im Bus ins Getümmel stürzen? Den Türken oder Arabern aufs Maul hauen? Mal abgesehen davon, dass das nicht jeder kann.«
    Schon kein gutes Zeichen, denkt Darius, dass wir uns hier getroffen haben und nicht wie üblich, wie eigentlich zu jedem Treffen, bei Cora und Marvin in der Wohnung.
    Er beobachtet Hakan, der Marvin nachdenklich mustert, aber noch nichts sagt.
    Es ist unangenehm still. Vom Friedhof hört man keine Geräusche. Nur auf dem Flughafen wird eine Flugzeugturbine an- und wieder ausgeschaltet und das Summen der Fliegen ist überlaut zu hören, große, grüne Fliegen, die den Geruch des Komposts mögen, der in der Hitze schwer zwischen den Büschen und Bänken nahe der Friedhofsmauer steht.
    Bis Alina, die das Schweigen nicht mehr erträgt, die Stille unterbricht, indem sie sagt: »Das war bei uns genauso. Wir waren im Freibad, Hakan und ich. Wir haben uns umgeschaut, wir haben gesehen: Da ist so ’ne Gruppe Mädels, achte, neunte Klasse vielleicht. Die werden umkreist von so Türkenbengels, zehn, elf Jahre alt. Das Übliche eben: ›Hast du einen Freund?‹, ›Willst du nicht mit mi r …‹ Und ›bla‹ und ›bla‹. Hakan und ich haben uns in der Nähe der Mädchen unter einen Baum gelegt. Die Handtücher langsam ausgebreitet. Hakan hat sich die Badehose angezogen und mal zu den Jungs rübergeschaut. Nach fünf Minuten waren die verschwunden. Wurde für die Mädchen ein ruhiger Nachmittag.« Sie mustert Marvin. »Aber das ist doch gut. Was hast du also dagegen?«
    »Mag ja alles sein«, sagt er. »Aber, hallo, ist das unsere Aufgabe?«
    Hakan, der auf dem Platz hin und her gegangen ist, setzt sich jetzt auf die Lehne einer Bank. Dann blickt er Cora und Marvin an, die unwillkürlich dichter zusammengerückt sind, und beginnt mit seinem Vortrag, auch diesmal ohne aufzustehen. Schon als er ansetzt, weiß Darius, dass sein Reden nichts nützen wird.
    Bevor er beginnt, räuspert er sich, als suche er nach den richtigen Worten.
    »Wir haben gerade erst angefangen.« Nervös knackt er mit den Fingern. »Wir wissen noch nicht, was daraus wird. Wir sind zu wenige, ganz klar. Aber wir können feststellen, dass die sich zurückhalten, wenn wir in der Nähe sind. Wenn wir da sind, gibt’s keinen Ärger. So wie bei den Fahrwachen der Antifa, nachts, Anfang der Neunzigerjahre vor den Flüchtlingsheimen. Über die wir gelesen haben, als wir mit unserer

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