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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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beißenden Hunde wetten.
    Dann schlägt Hakan vor, noch ein bisschen näher zu schleichen, und Darius, der weder nickt noch etwas einwendet, folgt ihm, obwohl er spürt, wie seine Vorahnung noch um einiges düsterer wird. Kaum dass sie die neue Position bezogen haben, geht alles sehr schnell.
    Hakan und Darius haben sich gerade hinter einer leeren Fensterhöhle, die im Schatten einiger Bäume liegt, auf die Erde gehockt, als sie Schritte in ihrem Rücken hören. Noch bevor sie entscheiden können, ob ihnen eine Fluchtmöglichkeit bleibt, grunzt der narbige Cousin, offenbar mit verblüffend scharfsichtigen Augen: »Na, hallo! Wen haben wir denn da?«
    Wenn Darius an die Begegnung zurückdenkt, meint er, in der Nacht zum ersten Mal eine Situation, in die er verstrickt gewesen ist, aus der Vogelperspektive betrachtet zu haben. Als sei er gleichzeitig Beobachter und Beteiligter: er selbs t – und zugleich ein anderer, sich selber fremd und vertraut. Als sei er noch ein zweiter, der über ihm in der Luft schwebt und das Geschehen ohne Regung verfolgt.
    Er sieht, dass ihm und Hakan der Fluchtweg abgeschnitten ist, erkennt, dass das Brombeergesträuch links und rechts von ihnen zu dicht ist, um durchzubrechen, er nimmt das Lachen des Whoppers wahr, der ein letztes Mal an seinem Joint zieht. Er bemerkt Ömer, der gerade vor das Gebäude tritt, und hört, wie Hakan »So eine Scheiße!« zischt. Dann beschleunigt das Geschehen wie in einem zu schnell abgespielten Film.
    Darius sieht, wie er sich bückt, in einer gleitenden Bewegung Sand vom Boden aufgreift und dem Cousin in die wegen der Dunkelheit weit aufgerissenen Augen schleudert. Sieht, wie Hakan aufspringt, stolpert und das Gleichgewicht verliert, sieht, wie er selber zögert, ob er losrennen soll, hört Ömer kreischen: »Die holen die Bullen!«, sieht eine Gruppe aus dem Fabrikgebäude stürzen, wehrt die ersten Schläge und Tritte noch mit Mühe ab.
    Geht zu Boden, rollt sich ein, hebt die Arme vor das Gesicht, kauert sich eng zusammen. Weiß, dass sich Hakan ähnlich verhält, spürt die Schuhe und Stiefel, die Tritte, die ihn treffen, hört Polizeisirenen, das Trappeln flüchtender Schritte, das Kläffen aufgeregter Hunde. Sieht zuletzt Emre, der hinter den anderen zurückbleibt, um noch einen Blick auf ihn und den sich krümmenden Hakan zu werfen: als drücke er sein Bedauern aus. Rollt sich zusammen mit Hakan unter das Brombeergebüsch.
    Rollt sich so tief hinein wie möglich, bemerkt, dass Hakan sein Handy und damit die Notruffunktion ausschaltet, mit den Armen die Knie umfasst und aus aufgeplatzten Lippen mühsam murmelt: »Hast Recht gehabt, war wirklich eine blöde Idee.«
    Als Darius zerschrammt und zerschlagen spät in der Nacht nach Hause komm t – die Polizisten sind an ihm und Hakan vorbeigelaufe n –, ist sein Vater nüchtern und macht sich Sorgen. Nachdem Darius erzählt hat, was vorgefallen ist, nuschelt sein Vater, der während der Schilderung keinen Laut von sich gegeben hat: »Scheißtürken.«
    Er steht von der Couch auf, wendet sich ab, läuft in der großen Wohnküche ziellos hin und her, stellt sich an die Spüle, trinkt ein Glas Wasser, murmelt, ohne Darius anzusehen: »Erst klauen sie mir meine Frau. Dann meine Arbeit. Und dann verprügeln die Ärsche auch noch meinen Sohn.«
    Danach ist es still in der Küche. Todmüde weiß Darius nichts zu erwidern. Langsam schließt er die Augen und wischt sich mit einem feuchten Taschentuch das Blut aus dem Gesicht.
    Nichts Ernstes passiert, will er grade sagen, doch als er die Augen wieder öffnet, bemerkt er, dass sein Vater weint.
    Darius hat seinen Vater nie vorher weinen sehen. Auch später wird er ihn nie wieder weinen sehen. In dem lautlosen Weinen, kein Schluchzen ist zu hören, kein Geräusch, erkennt er die Ohnmacht seines Vaters. Er erkennt, dass der Vater von seinem Sohn nicht so schwach und hilflos gesehen werden will.
    Darius dreht sich um, öffnet den fast leeren Kühlschrank, nimmt Eis aus dem Kühlfach und findet im Gemüsefach einen letzten Erdbeerjoghurt. Behutsam fragt er gegen die geöffnete Kühlschranktür: »Warum ziehen wir nicht um?«
    Der Vater, der sich anscheinend gefasst hat und dessen Stimme nun ungewohnt beherrscht klingt, sagt mit Nachdruck: »Nicht leicht ohne Arbeit, glaub mir.«
    Eine Woche später melden sich Hakan und Darius in einer Kampfsportschule an, die von einem wortkargen, vierschrötigen und dabei ungemein wendigen Russen geleitet wird.
    ***
    Darius

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