Blutschnee
versucht, sich darum zu kümmern, ist aber sehr beschäftigt. Und bei dem, was nun geschieht, werden Anwälte uns nicht helfen.«
Er trat heran und umfasste zärtlich ihre Schultern. »Ich weiß nicht, ob ich etwas ausrichten kann, Schatz, aber ich muss es versuchen.«
Marybeth schwieg kurz. Dann sagte sie sanft: »Du bist kein schlechter Ehemann oder Vater, Joe.«
Er freute sich, dass sie das sagte, war sich aber nicht gewiss, ob er ihrer Meinung war. »Das Wichtigste ist Aprils
Sicherheit«, erwiderte er. »Es ist egal, ob sie bei uns oder dieser furchtbaren Frau ist. Diese Dinge lassen sich später regeln. Vorläufig müssen wir dafür sorgen, dass ihr nichts passiert.«
Marybeths Augen wurden weich. »Das sehe ich auch so«, flüsterte sie.
»Und dafür können wir nicht auf den Sheriff oder die Anwälte bauen. Was das betrifft, können wir uns auf niemanden verlassen.«
»Was hast du vor?«
»Da bin ich mir noch nicht sicher«, bekannte er. »Doch ich weiß, dass Melinda Strickland und ihre Truppen die Souveränen angreifen wollen, weil sie meinen, Spud Cargill versteckt sich da oben. Wenn es mir gelingt, ihn vorher ausfindig zu machen oder zu beweisen, dass er nicht auf dem Zeltplatz ist, haben sie keinen Grund mehr zur Attacke.«
»Ich vertraue dir«, sagte sie. »Mehr als irgendwem sonst. Tu, was du tun musst.«
»Bist du dir sicher? Ich weiß nicht, ob ich mir selber traue.«
»Leg los, Joe.«
Er gab ihr einen Kuss, und sie verließen zusammen die Bücherei. Während sie ihren Wagen startete, schob er den Schnee von der Frontscheibe und vergewisserte sich, dass ihre Räder griffen und sie vom Parkplatz fahren konnte. Er bat sie, ihr Handy eingeschaltet zu lassen und ihn anzurufen, falls sie Probleme hatte, nach Hause zu kommen.
Als sie schon fast vom Parkplatz war, rannte er ihr durch den Schnee nach. Sie ließ das Seitenfenster herunter. Er griff in den Wagen und drückte ihre Hand.
»Marybeth …« Er hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden.
»Sag es, Joe.«
»Ich kann nicht versprechen, dass es mir gelingt, sie zu retten. «
Marybeth bog hinaus auf die ungeräumte Straße; Joe starrte ihr nach, bis das Schneetreiben ihre Rücklichter verschluckte.
Er konnte sich nicht erinnern, Saddlestring je so lautlos erlebt zu haben wie in diesem Moment. Nur eines war zu hören: sein leise tuckernder Auspuff.
Die Bewohner der Stadt hatten sich in ihre Häuser und an ihre Holzöfen zurückgezogen. Die Geschäfte, Schulen und Büros waren geschlossen. Der Schnee verschluckte alle Geräusche und ließ alle Bewegung erstarren. Auf den Straßen herrschte keinerlei Verkehr.
Joe kämpfte gegen das furchtbare Gefühl eines unausweichlichen Verhängnisses an.
Dann stieg er in seinen Wagen und jagte davon.
27
Denk nach!
Joe besaß keine genaue Vorstellung, wohin er sich wenden oder wie er vorgehen sollte. Er fuhr auf Straßen, die jede Minute unpassierbarer wurden, durch Saddlestring. Es war einer der Stürme, wie sie nur alle fünfzig Jahre hereinbrachen und bei denen es sinnlos war, Schneepflüge auszuschicken, solange das Unwetter tobte.
Er fuhr zur Dachdeckerei Bighorn, um sich zu vergewissern, dass dort kein Licht brannte und der Betrieb abgeschlossen war. Das Gleiche tat er beim Haus von Spud Cargill, obwohl er wusste, dass er sich auf ausgetretenen Bahnen bewegte.
Er überlegte, Mrs. Gardiner erneut zu befragen, um zu sehen, ob sie ihm nicht weitere Hinweise liefern konnte, verwarf die Idee aber als nutzlos. Womöglich war sie auch gar nicht mehr in der Stadt, sondern schon auf dem Weg nach Nebraska.
Rope Latham könnte was wissen, überlegte er. Vielleicht verrät er, wohin sein Freund vermutlich geflohen ist. Zwar hatten Barnum und Munker den Dachdecker zweifellos über seinen Geschäftspartner befragt, doch wenn er ihnen etwas über ihn gesagt hatte, war dies für die Ermittlung offenbar nicht relevant gewesen. Außerdem saß Latham im Gefängnis, im Gebäude der Bezirksverwaltung, bewacht von Hilfssheriffs. Möglich, dass Barnums Leute Joe nicht zu dem Gefangenen ließen oder seinen Besuch verzögerten. Gerade jetzt konnte er es sich nicht leisten, so viel Zeit zu verschwenden. Außerdem war Rope Latham demjenigen gegenüber, der ihn verhaftet hatte, sicher nicht freundlich gestimmt, und falls er jemals singen würde, dann vermutlich nicht Joe gegenüber.
Er rief daheim an, um zu hören, ob Marybeth gut nach Hause gekommen war. Sie hatte es geschafft, sagte aber, die
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