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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
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Spiegel.
    »Wie geht’s?«, fragte April. »Ich vermisse euch.«
    »Wir vermissen dich auch alle. Wo bist du?«
    »Hier oben. Hier oben im Schnee. Es ist richtig kalt.«
    »Dann komm doch nach Hause!«, rief Sheridan und lachte nervös.
    April seufzte. »Das würd ich ja gern.« Es war einen Moment lang still, und Sheridan merkte, dass das Rauschen in der Leitung zunahm. Die Verbindung war schlecht.

    »Ich darf eigentlich gar nicht telefonieren. Meine Mom wird bestimmt richtig böse, wenn sie rausbekommt, dass ich mit dir rede.«
    »Wo ist sie?«
    »Ach, die sind alle in einer Besprechung, Mom, Clem …«
    »Wer ist Clem?«
    »Ein Mann, der bei uns wohnt. Ich mag ihn nicht, aber nur er weiß, wie man die Heizung am Laufen hält.«
    Sheridan fiel auf, dass sich Aprils Südstaatenakzent wieder bemerkbar machte. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass April ihn auch gehabt hatte, als sie zu ihnen gezogen war.
    »Ich vermisse euch so.« Sie klang mitleiderregend.
    »April, kommst du nach Hause?«
    Das Mädchen seufzte. »Das möchte ich wirklich gern. Ich muss dauernd weinen. Ich mag meine Mom und alles, aber …«
    »Wie ist es da oben?«, fragte Sheridan. Sie war nun in der Küche und zog die Vorhänge auf. Es schneite so heftig, dass Koppel und Stall nur als Schemen erkennbar waren. Ihre Mutter war nirgendwo zu entdecken.
    »Es ist kalt, wirklich kalt. Ich bleib den ganzen Tag über drin. Gestern Nacht waren draußen furchtbare Geräusche zu hören, keiner konnte schlafen. Clem meinte, das waren bei lebendigem Leibe gehäutete Kaninchen.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Nein. Wie geht’s Lucy?«
    Sheridan stellte sich April dort oben vor. Sie dachte sie sich in Lumpen in einer Ecke, konnte ihr Gesicht aber nicht erkennen, sondern nur ihren wirren Blondschopf. Aprils Gesichtslosigkeit ließ sie frösteln.
    »Lucy geht’s gut. Und sie ist dämlich wie immer. Inzwischen putzt sie sich mit Oma Missy raus und fährt mit ihr in
die Stadt. Gerade sitzt sie in unserem Zimmer und schminkt sich.«
    April lachte leise. »Sie ist unser Zuckerpüppchen, oder?«
    Sheridan spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. April schien so nah zu sein, und doch war es nicht so.
    »Soll ich sie holen? Willst du mit ihr sprechen?«
    Durchs Telefon konnte sie plötzlich Erwachsene im Hintergrund hören.
    »Da kommt wer«, rief April hektisch. Ihre Stimme wurde deutlich heller, und sie redete immer rascher. »Tschüss, Sherry. Sag Lucy, dass ich sie vermisse. Sag Mom und Dad, dass ich sie sehr gernhab und …«
    Die Verbindung wurde unterbrochen, und Sheridan stand weinend am Fenster.
    »Tschüss, April«, sagte sie in den toten Hörer.

    Auf einmal vernahm Sheridan das Jaulen eines Schlittens. Sie rannte durchs Wohnzimmer und sah durchs Fenster, dass ihr Vater heimgekommen war. Sein Pick-up stand in der Einfahrt, und er fuhr den Schlitten aus der Garage über eine Rampe auf die Ladefläche des Wagens.
    Ohne sich Jacke oder Stiefel anzuziehen, trat sie in den tiefen Schnee auf der vorderen Veranda hinaus. Obwohl sie nur Strümpfe trug, spürte sie die Kälte nicht.
    Ihr Vater entdeckte sie, machte den Schlitten aus, stieg vom Sitz und musterte sie, als sei sie verrückt geworden.
    »Du musst reingehen und die Tür zumachen, Sheridan«, sagte er. »Was ist los?«
    »Dad, ich hab gerade mit April gesprochen.«
    »Was hast du?«
    »Du musst sie retten, Dad – du musst.«

29
    Joe Pickett bewegte sich leise im Dunkeln durch die Bäume. Sturmwolken verhüllten den Mond, und doch war es so hell, dass der Neuschnee tiefblau schimmerte. Stämme, deren Äste mit dem Nachthimmel verschmolzen, stiegen daraus auf. Das Schneetreiben hatte nachgelassen, und die Flocken fielen so pulvrig und leicht, dass sie jenseits der Schwerkraft zu schweben schienen. Die Temperatur war auf etwa zehn Grad unter null gefallen, und die Äste knackten und seufzten.
    Er war am Battle Mountain und näherte sich von Norden her zu Fuß dem Lager der Souveränen, war aber noch nicht nahe genug, um Lichter zu sehen oder Stimmen zu hören. Er war hier, um Spud zu verhaften oder April in Sicherheit zu bringen oder beides zu tun. Und er konnte nicht klar denken.
    Zweierlei hatte Joe davon abgehalten, das Lager über die Bighorn Road zu erreichen: zum einen der Schnee, der die Straße buchstäblich unpassierbar gemacht hatte; zum anderen der Wagen von Hilfssheriff McLanahan. Die Straßensperren waren ein Stück talwärts verlegt worden, doch noch immer war die Durchfahrt

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