Blutschnee
nahm an, dass es sich dabei um die »richtig fette Handfeuerwaffe« handelte, von der McLanahan gesprochen hatte.
Dieser Mann ist kein Unschuldslamm, dachte er. Noch nie hatte er eine so große Handfeuerwaffe gesehen.
Melinda Strickland, die sich während des Einsatzes im Hintergrund gehalten hatte, trat jetzt zu den Ordnungshütern.
»Verabscheuen Sie die Staatsgewalt, Nate?«, fragte sie Romanowski
unvermittelt. Elle Broxton-Howard war an ihrer Seite und kritzelte Notizen auf einen Block.
Romanowski schien kurz über die Frage nachzudenken. Dann wandte er sich ein wenig zu ihr um – ganz langsam, damit die schießwütigen Ermittler nicht auf ihn feuerten – und sagte: »Ich habe plötzlich keine Ahnung mehr, worüber wir reden.«
Joe musterte Romanowski, der verwirrt wirkte.
»Ich weiß nur, dass ihr Polizisten mit Feuerwaffen auf mein Grundstück gekommen seid und versucht habt, meinen Bussard, der noch immer nicht ganz gesund ist, zu töten«, fuhr Romanowski fort, und seine Ruhe war unheimlich und unangemessen. »Wer mimt in eurem Verein eigentlich den starken Mann?«
Als Antwort trat McLanahan vor und stieß Romanowski den Kolben seines Gewehrs in den Mund. Nates Kopf schnellte zurück, und er taumelte. Doch er behielt die Hände oben. Obwohl das Blut ihm grellrot zwischen den zerschlagenen Zähnen aus dem Mund schoss, grinste er den Hilfssheriff an.
Joe war erneut einen Schritt auf McLanahan zugetreten, doch Barnum hatte den Arm ausgestreckt, um ihn zu bremsen. Joe konnte nicht glauben, was der Hilfssheriff soeben getan hatte.
»Ihr habt keine Ahnung, was ihr euch damit eingebrockt habt«, drohte Romanowski mit kaum vernehmbarer Stimme.
»Sie auch nicht«, gab Melinda Strickland mit harter Miene zurück.
»Verpassen Sie dem Mistkerl noch einen Schlag«, befahl sie dann, und obwohl Joe protestierte, stieß der Hilfssheriff ein zweites Mal zu.
8
Als Joe an diesem Tag nach Hause kam, stellte er erfreut fest, dass der Pflug die Bighorn Road geräumt hatte: Eine Schneise – breit genug für ein Auto – war durch den Schnee geschlagen; links und rechts davon türmten sich mächtige Platten Hartschnee mit zerklüfteten Rändern. Joe lächelte in sich hinein und dachte daran, wie traurig die Mädchen darüber sein würden, nun doch zur Kirche gehen zu müssen.
Aber, dachte er, ich muss in die Kirche – auch wenn es ihnen anders geht. Joe musste das Blut und die Gewalt der letzten Tage hinter sich lassen. Der Gottesdienst an Heiligabend würde ihn nicht reinwaschen, ihn womöglich aber wenigstens auf bessere, hoffnungsvollere Gedanken bringen. Die Verhaftung von Nate Romanowski hatte einen bitteren Beigeschmack gehabt. Obwohl es von außen wie eine überaus erfolgreiche Untersuchung und Festnahme aussehen mochte – sie hatten den Mörder immerhin binnen eines Tages ermittelt und aufgegriffen, und das trotz übler Witterungsverhältnisse! –, wirkte das Ganze nicht ganz sauber auf Joe. Für ihn verband sich der Tod von Melinda Stricklands kleinem Hund mit den Gewehrkolbenschlägen in Nate Romanowskis Gesicht. Er konnte die irritierte Miene des Verhafteten nicht vergessen. Angesichts der Aussage des Augenzeugen und der Entdeckung der Waffe, mit der der Mord offenbar verübt worden war, gab es keinen Grund für die Vermutung, Romanowski sei nicht der Täter – bis auf die Tatsache, dass etwas in seiner Miene Joe beunruhigte. Er hatte den Eindruck, Romanowski hätte mit seiner Festnahme gerechnet, aber eines ganz anderen Delikts wegen; oder er hätte gedacht, das perfekte Alibi zu besitzen, das ihm jedoch niemand abkaufte. Irgendetwas …
Joe sehnte sich nach der Erleichterung darüber, dass die Sache erledigt, die Morduntersuchung abgeschlossen, die Angelegenheit, die er losgetreten hatte, endlich beendet war. Doch dieses Gefühl wollte sich nicht einstellen.
Vielleicht erwarte ich einfach zu viel, dachte er. Womöglich geht die Sache einfach nicht so ordentlich und sauber auf wie erhofft. Seine Erfahrungen wiesen ohnehin in diese Richtung. Vielleicht aber beutelte ihn auch nur die Schwermut, die bisweilen nach Erfolgen aufkommt und am nächsten Tag verflogen ist.
Er musste die Sache loswerden, wenigstens für eine gewisse Zeit. Und er musste in die Kirche.
Während sie sich anzogen, berichtete Joe seiner Frau, was im Laufe des Tages passiert war. Sie hörte aufmerksam zu.
Kurz zuvor war Marybeth ins Wohnzimmer gegangen, wo die Kinder spielten, hatte laut in die Hände geklatscht und
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