Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
Vom Netzwerk:
nie so viele Autos vor dieser Kirche gesehen«, sagte Marybeth.
    Joe ging es nicht anders, und er kam auf dem Heimweg von der Arbeit oft hier vorbei. Schon die Zahl von über dreißig Autos war ungewöhnlich, doch besonders die Nummernschilder sprangen ihm ins Auge. Die Wohnmobile, Transporter, ramponierten Allradfahrzeuge und Geländewagen stammten aus Montana, Idaho, New Mexico, Nevada, Colorado, North Dakota, Georgia, Michigan und Wyoming. Der kleine Parkplatz war voll davon, und die zuletzt Gekommenen hatten Stoßstange an Stoßstange an der Zufahrt geparkt.
    »Ich schau mir das mal an«, sagte Joe, obwohl es ihn nichts anging. Wie zu erwarten, stimmten die Kinder ein allgemeines Stöhnen an.
    Marybeth warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Joe, du kannst wirklich mal Feierabend machen.«
    »Wartet«, sagte Sheridan plötzlich von hinten. »Das sind ja die Autos, die wir vor der Schule gesehen haben.«
    Joe spähte rasch in den Rückspiegel, um Aprils Reaktion einzuschätzen. Ihre Augen waren plötzlich riesig geworden, doch sie sagte nichts.
    »Es dauert nur einen Moment«, meinte er.
    Marybeth öffnete den Mund – zweifellos, um ihn zur Vorsicht
zu mahnen –, verkniff sich die Bemerkung aber um der Kinder und ihrer Mutter willen.
    »Bleib nicht so lange«, sagte sie stattdessen und wandte sich den Kindern zu, um vor allem April zu trösten.
    Joe ließ Motor und Heizung laufen und nahm den Weg zur Kirche. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und der Mond war hinter jagenden Sturmwolken verschwunden.
    Die Erste Gebirgskirche von Saddlestring war ein kleiner Blockhausbau. Daneben stand ein Trailer von der Größe einer Baracke, in dem der »unkonventionelle« Pfarrer B. J. Cobb mit seiner Frau Eunice wohnte. Pfarrer Cobb stand normalerweise einer kleinen Gemeinde vor, die sich vorwiegend aus Überlebenskämpfern und den Ärmsten der Armen zusammensetzte. Diese Leute hatten sich in Saddlestring angesiedelt, weil die Stadt am Rand der Zivilisation lag, bauten in der Umgebung Bunker, horteten Waffen und Nahrung und meldeten dem Sheriff immer wieder, sie hätten schwarze Hubschrauber gesichtet. Selbst zu Ostern oder zu Weihnachten parkten eigentlich nie mehr als sechs Autos vor der Kirche. Die winzige Gemeinde lieferte ihrem Pfarrer ein so geringes Einkommen, dass Mr. Cobb sich und seine Frau durch eine Vollzeitbeschäftigung als Schweißer über Wasser hielt. Eunice amtierte derweil als Begrüßungsdame, die sich mit frisch Zugezogenen traf und Gutscheine zum Einkauf in den Einzelhandelsgeschäften von Saddlestring an sie verteilte.
    Der Boden war vereist. Große Flocken trieben durch die Luft, landeten auf der Straße und verbanden sich dort zu Gebilden, die an Wattebäusche denken ließen. Die drei Stufen zum Eingang waren rutschig, und Joe hielt sich am Geländer fest, als er sie erstieg. Die Kirche wurde von einem Ofen beheizt. Der angenehme Geruch von Holzrauch hing in der Luft.
    Die Hand am Türgriff in Form eines Wapitigeweihs,
blieb Joe in der Tür stehen und lauschte, wie Pfarrer Cobb schwungvoll seine Predigt beendete. Als Eunice das E-Piano zu spielen begann – die Kirche war für eine Orgel zu klein und zu arm –, öffnete er die Tür und trat ein. Eine streng riechende Mischung aus Holzofenhitze, Kerzenwachs und Körpergeruch schlug ihm entgegen. Eunice spielte Silent Night. Die meisten Besucher sangen Englisch, doch einige bedienten sich des Deutschen.
    Stille Nacht, heilige Nacht,
Alles schläft, einsam wacht …
    Die einfachen Kirchenbänke waren voller Besucher in gefütterten, ziemlich mitgenommenen Jacken. Sie wandten ihm den Rücken zu. Joe erkannte nur die Cobbs und zwei Einheimische, Spud Cargill und Rope Latham, denen die Dachdeckerei Bighorn gehörte. Er hatte draußen ihre beiden weißen, völlig gleich aussehenden Ford Pick-ups mit dem Firmenlogo (geflügelten Dachschindeln) auf den Türen erkannt. Joe verdächtigte sie der Wilderei, hatte sie aber nie auf frischer Tat ertappt.
    Als die Gemeinde die zweite Strophe anstimmte, bemerkte der Pfarrer Joe im Hintergrund, kam durch den Mittelgang auf ihn zu, ohne mit dem Singen aufzuhören, und schüttelte ihm die Hand.
    Schlaf in himmlischer Ruh,
Schlaf in himmlischer Ruh.
    Pfarrer B.J. Cobb war ein kompakter Mann, der bei den Marines gewesen war und in Vietnam gedient hatte. Sein silbergraues Haar war kurzgeschoren, sein Kinn wirkte energisch.
Seine Frau Eunice war ebenso klein und kompakt wie er, hatte aber einen eisengrauen

Weitere Kostenlose Bücher