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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
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ein besonderes Talent dafür zu haben, die Stimmungen und Sorgen ihrer Eltern zu erkennen. Sie wird älter, reifer, dachte Joe. Und sicher mal sehr beeindruckend – wie ihre Mutter.
    »Uns geht’s gut«, gab Joe zurück. »Ab ins Bett, Süße.«
    »Frohe Weihnachten«, sagte sie und kam zu ihnen getrottet, um sich eine Umarmung und einen Kuss abzuholen.
    »Frohe Weihnachten, Schatz.«

    Am nächsten Tag zog Joe Wollweste und Parka über sein rotes Uniformhemd und fuhr Richtung Berge, um in Erfahrung zu bringen, ob Jeannie Keeley im Lager am Battle Mountain war.

    Schnee türmte sich längs der geräumten Straße, und er hatte das Gefühl, durch einen Tunnel zu fahren. Die oberen Reflektoren der Leitpfosten spitzten auf Höhe seiner Pick-up-Fenster nur knapp aus dem Schnee hervor. Ein weiterer Sturm dieser Stärke würde die Pfosten begraben, und die Fahrer der Schneepflüge würden die Straße ohne Hinweise finden oder ganz aufs Räumen verzichten müssen.
    Während seine Schneeketten in den weißen Belag der Straße griffen und die Sonne von der eisigen Oberfläche reflektierte, dachte er an die Berichte, die er beim Frühstück im Roundup gelesen hatte. Es war das erste Mal, dass die Zeitung seit dem Sturm vor einer Woche ausgetragen worden war. Die Verhaftung Nate Romanowskis beherrschte die Titelseite. Unter der Überschrift Ortsansässiger verhaftet: Hat dieser Mann den Bezirksleiter der Bundesforstverwaltung ermordet? prangte ein Foto, das Romanowski in Handschellen und mit verächtlichem Blick zeigte. Ein altes Foto von Lamar Gardiner, auf dem er ein besonders fliehendes Kinn hatte, war in den Text gerückt. Es gab auch ein Bild von Melinda Strickland, die im Artikel mehrfach ausführlich zitiert wurde. Joe erfuhr einige Neuigkeiten, die Barnum nicht an ihn weitergeleitet hatte.
    Die Kriminalpolizisten hatten in Romanowskis Haus am Fluss nicht nur einen Verbundbogen entdeckt, sondern auch zwei Pfeile der Firma Bonebuster in einem Köcher – und einen Kassenzettel, aus dem hervorging, dass Romanowski vier solche Pfeile erworben hatte. Auch hatten sich im Haus Kopien von Briefen gefunden, die er an Gardiner geschickt und in denen er gegen die Sperrung bestimmter Waldwege protestiert hatte, die er befahren müsse, um zu seinen Falkenfallen zu gelangen und jagen zu können. Die Aussage des Ranchers, der Romanowski in der Nähe des Tatorts beobachtet hatte, die vermutliche Mordwaffe, die speziellen Pfeile und die Briefe,
die ein Motiv boten, ließen Melinda Strickland »mit hoher Wahrscheinlichkeit« annehmen, der Täter sei gefasst.
    Auch in Joes Augen waren diese Indizien belastend. Es ließ sich kaum noch bestreiten, dass Romanowski der Schuldige war. Doch irgendwie wunderte ihn das. Die Zweifel, die er empfunden hatte, als Nate direkt vor ihm stand, nagten noch immer an ihm. Doch Joe hatte in den letzten Tagen darüber nachgedacht und einige Erklärungen gefunden. Zum einen hatte er bei sich die Neigung bemerkt, anderen Moral und vernünftiges Handeln zuzuschreiben, weil er selbst danach strebte. Er wusste, dass er es sicher nicht würde verbergen können, wenn er sich eines Mordes schuldig gemacht hätte. Im Gegenteil: Er würde Marybeth die Tat so schnell beichten, dass er dabei Bremsspuren hinterließ. Deshalb ging er immer davon aus, dass andere – sogar Bösewichter – wenigstens etwas Vernunft und gewisse Schuldgefühle besaßen und ihre Verfehlungen daher auf irgendeine Weise zutage traten. Doch wer solcher Grausamkeiten fähig war wie des Mordes an Lamar Gardiner, handelte womöglich völlig unvernünftig und empfand keine Schuld im üblichen Sinne. Mörder und Kinderschänder zum Beispiel entzogen sich Joes Verständnis. Anzunehmen, Moral und Schuld spielten bei einem Kinderschänder eine Rolle, hielt er schlicht für naiv. Und womöglich legte er bei Nate Romanowski ja genau diese Naivität an den Tag?
    Natürlich war Joe schon früher bisweilen seiner Intuition gefolgt und hatte prompt erlebt, dass an einem Verbrechen mehr dran war, als man zuerst vermutet hatte. Das konnte – wie er einräumte – nicht immer der Fall sein. Vor Jahren hatte Barnum zu ihm gesagt, die Dinge seien mitunter genau so, wie sie erschienen. Was den damaligen Fall anlangte, hatte der Sheriff Unrecht gehabt, doch an sich stimmte seine Feststellung, und Joe war klar, dass er das anerkennen musste.

    Nate Romanowski war immerhin kein durchschnittlicher Bürger. Er war ein Einzelgänger, dessen Vergangenheit und Gegenwart

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