Blutschnee
Station führte.
In der Eingangshalle zog der Unfallarzt gerade seine Jacke an, um das Krankenhaus nach der Schicht zu verlassen.
»Von Ihnen abgesehen, war es eine ruhige Nacht«, sagte er augenzwinkernd. Joe nahm sein Angebot, ihn nach Hause zu fahren, dankbar an.
Es war noch immer dunkel, und der bitterkalte Wind drang ihm sofort durch die Kleidung. Der Arzt fuhr einen Jeep Cherokee – ein Fahrzeug, das die Einheimischen wegen seiner rasch wirkenden Heizung zu schätzen wussten.
Joe sank in den Ledersitz und merkte nun erst, wie erschöpft er war. Er war dem Arzt dankbar, weil der sich nicht verpflichtet fühlte, ein Gespräch zu beginnen.
Joe bedachte, was Wardell ihm erzählt hatte. Er überlegte, wie grausam es von dem Fahrer des hellen Pick-ups gewesen war, ihn in einer solchen Lage zurückzulassen. Sicher hatte er den Unfall gesehen oder gehört und bestimmt begriffen, dass Wardell – wenn er nicht ums Leben gekommen war – da draußen wahrscheinlich erfrieren würde. So oder so: Es wäre ein schlimmer Tod gewesen. Und Joe war im Gespräch mit Wardell plötzlich aufgefallen, dass Lamar Gardiner auf ähnlich bösartige Weise mitgespielt worden war.
Wenn Gardiners Mörder auch Birch Wardells Kältetod in Kauf genommen hatte, konnte Nate Romanowski nicht der Täter sein. Und Joe glaubte auch nicht, dass einer der Souveränen der Mörder war, denn Wardell hatte den Wagen ein gutes Stück von ihrem Lager entfernt bemerkt. Joe
war klar, dass wohl keiner von ihnen – auch Jeannie Keeley nicht – das schwierige Gelände, in dem der Unfall sich ereignet hatte, gut genug kannte, um von dem geheimen Weg zu wissen, den der helle Pick-up laut Wardell genommen hatte. Ihn überlief ein Schauder. Je länger er nachdachte, desto überzeugter war er, dass weder die Souveränen noch Nate Romanowski als Täter infrage kamen und der Mörder noch frei herumlief.
Sie fuhren langsam die Hauptstraße hinunter, während die Heizung das Eis auf der Frontscheibe immer großflächiger abtauen ließ. Saddlestring war ganz still. Straßenlaternen beleuchteten die Dampfwolken, die aus den Abzugsrohren der dunklen Gebäude drangen und dem Betrachter die Illusion gaben, die Häuser würden atmen. Joe fiel auf, dass ein paar Autos mehr als sonst im Stadtzentrum parkten. Er vermutete, sie gehörten Leuten, die den Jahreswechsel kräftig gefeiert hatten und sie am nächsten Tag abholen würden.
Der einzige Ort, an dem noch Licht brannte und vor dem besonders viele Autos standen, war der Wapiti-Club. Im Vorbeifahren drehte Joe den Kopf zur Seite und entdeckte vor dem Eingang ein Pärchen. Die Verandalampe beleuchtete die beiden von hinten und ließ ihr Profil deutlich erkennen. Die Frau umarmte den Mann, der den Kopf senkte, um sie zu küssen.
Joe stöhnte und blickte wieder nach vorn.
»Alles in Ordnung?«, fragte der Arzt.
»Ja. Ich dachte nur, ich hätte da draußen gerade meine Schwiegermutter gesehen.«
Joe dankte dem Arzt, näherte sich vorsichtig seiner Haustür und achtete auf das Eis unter seinen Füßen. Drinnen vergewisserte er sich, dass das Schlafsofa unbenutzt war.
Er schleppte sich die Treppe hoch und fragte sich, wie rasch sich herumsprechen würde, dass noch ein Bundesbeamter im Twelve Sleep County angegriffen worden war.
Diese Neuigkeit würde Melinda Stricklands Kreuzzug zweifellos Auftrieb geben.
14
An Neujahr, einem Sonntag, rührte Joe mit dem Schneebesen im Pfannkuchenteig und beobachtete die Flocken vor dem Küchenfenster. Sie fielen leicht und pulverig, ließen sich auf dem verharschten Schnee der Vorwoche nieder und nisteten sich in Ritzen und Spalten ein. Im Wohnzimmer hockten die Mädchen in Bademänteln und Decken auf dem Boden und sahen sich im Fernsehen den großen Rosenumzug an, der an jedem Neujahrstag im kalifornischen Pasadena stattfindet: eine sonnendurchflutete Blumenschau, bei der die Mitglieder des Festkomitees alle gleiche Blazer tragen. Marybeth hatte den Kindern Platz geschaffen, indem sie das Schlafsofa zusammengeklappt hatte, als ihre Mutter endlich aufgewacht war. Missy war nun im ersten Stock und richtete sich für den Tag her. Das würde, wie Joe inzwischen wusste, zwei Stunden und zehn Minuten dauern.
Er ließ seine Gedanken schweifen, während er den Teig zubereitete, den durchwachsenen Speck auspackte und die Flasche mit Ahornsirup im Wasserbad erwärmte. Er war müde und freute sich schon jetzt auf ein Mittagsschläfchen. Die Nacht im Krankenhaus und mehrere schlaflose
Weitere Kostenlose Bücher