Blutschnee
Marybeth in die Augen.
»Joe – Robey sagt, wir könnten angeklagt werden, falls wir Jeannie das Mädchen nicht überlassen.«
Er schüttelte den Kopf, als ließe sich die Neuigkeit so aus
der Welt schaffen. Im nächsten Moment zerstob Marybeths Maske, und sie brach zusammen. Er schloss sie in die Arme. »Was sollen wir bloß tun?«, fragte sie.
Nachdem Marybeth die Beherrschung zurückgewonnen hatte und ihre Gefühle zu einer Rüstung eisiger Entschlossenheit umgeschmiedet hatte, machte sie sich auf den Weg in die Bücherei. Joe verbrachte den Tag frustriert im Gelände. Wie immer hielt ihn vieles auf Trab, und er stürzte sich mit kaum gezügelter Wut in die Arbeit. Es ist besser, sich zu schinden, dachte er, als herumzusitzen und darüber nachzudenken, was zu Hause geschieht.
Er lud Motorschlitten und Rampe auf die Ladefläche seines Pick-ups, fuhr das Tal des Crazy Woman Creek so weit hinauf, wie der Schotterweg geräumt war, legte Schneeketten an, holperte weiter bis zum Ausgangspunkt eines Pfades, lenkte dann den Schlitten polternd die Rampe hinunter und raste durch den ungespurten Schnee den Hang hinauf und über den Hügelkamm. Im Bachbett auf der anderen Seite befand sich ein Winterunterschlupf für Wapitis. Wegen des Tiefschnees waren die meisten Tiere, die sich sonst dort aufgehalten hätten, in niedrigere Lagen umgezogen, obwohl eine von der Wild – und Fischbehörde beauftragte Firma dort Heu für sie abgeworfen hatte. Statt sich aber in diesem Unterschlupf zu verkriechen, fraßen die Wapitis unten im Tal das Heu von Herman Klein und anderen Ranchern. Joe konnte das den Tieren nicht zum Vorwurf machen, hätte sich aber gewünscht, sie wären in den Bergen geblieben. Die wenigen Wapitis hier wirkten ausgezehrt. Er erkannte gleich, dass sie den Winter kaum überleben, sondern Stürmen und Kojoten zum Opfer fallen würden. Düster und räudig standen sie da und sahen mitleiderregend drein.
Er unterdrückte das für ihn ganz untypische Bedürfnis, sie mit seinem Schlitten zu attackieren, sie zu jagen und ihnen beim Fliehen zuzuschauen, drehte stattdessen um, raste den Hang wieder hoch, über den er gekommen war, und schoss mit einer Rücksichtslosigkeit zwischen den Bäumen hindurch, die ihn erschreckte und zugleich erregte.
Kurz vor seinem Pick-up bremste er, sammelte sich und trug die Zahl der Wapitis in der Winterzuflucht – siebzehn kranke und hungernde Tiere – in sein Notizbuch ein. Er würde die übrigen Zufluchten im Laufe der Woche überprüfen und einen Bericht für Terry Crump aufsetzen. Joe erwartete überall den gleichen, niederdrückenden Befund. Diesen Winter würden viele Wapitis sterben. Er konnte sie nicht beschützen. Viel zu viele würden an den harten Bedingungen des Winters zugrunde gehen.
Eines war Joe bei seinem halsbrecherischen Rasen den Hang hinauf klargeworden: Er musste mit Jeannie Keeley reden. Also wandte er sich Richtung Battle Mountain, wo die Souveränen ihr Lager hatten, wurde aber von einem Auto des Sheriffbüros gestoppt, das die Straße blockierte. Der Geländewagen stand quer auf der geräumten Piste, und seine Stoßstangen stießen fast gegen die hohen Schneewände links und rechts.
Joe bremste, während Hilfssheriff McLanahan aus dem Wagen stieg, auf seinen Pick-up zutrat und sich dabei die Kapuze über den Kopf zog. Er hatte eine Schrotflinte mit kurzem Lauf unterm Arm. Joe rollte sein Fenster herunter.
McLanahans lädierte Nase ragte ihm als bizarrer blauschwarzer Fleck aus dem Gesicht, und er hatte dunkelgrüne Ringe unter den Augen. Er sah schlechter aus, als Joe ihn in Erinnerung hatte.
»Wo soll’s hingehen, Jagdaufseher?«
Der hat das Wort Jagdaufseher ausgesprochen, als würde er mich lieber Arschloch nennen, dachte Joe.
»Patrouille«, erwiderte er, was nicht ganz stimmte, denn er wollte überprüfen, ob Jeannie Keeley ins Lager zurückgekehrt war, und Wade Brockius raten, April nicht zu einer Figur in ihrem bösen Spiel werden zu lassen.
»Ich dachte, die Saison ist vorbei«, stellte McLanahan fest. Joe merkte, dass er mal wieder auf Krawall aus war – vermutlich nicht zuletzt, weil Barnum ihn verdonnert hatte, weit weg vom Geschehen die Straße zu sperren.
»Das ist sie«, bestätigte Joe, »aber ich muss die Winterunterstände für das Wild inspizieren. Was ist hier überhaupt los?«
Die Kapuze ließ McLanahan einem Waschbären ähneln.
»Eine Straßensperre. Ich soll alle überprüfen.«
»Wegen der Souveränen?«
»Ja. Seit
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