Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Box
Vom Netzwerk:
läutete, und trotz der Kälte strömten Kinder aus einer Seitentür und verteilten sich auf dem Schulhof, der mit Schnee und vereistem Schotter gesprenkelt war. Jeannie bemerkte, dass es eine Aufsicht gab – wohl eine Lehrerin –, die etwas abseits der Kinder steif auf und ab schritt.
    Ihr Blick blieb auf einem blonden Mädchen in roter Daunenjacke haften, deren Kragen mit weißem Kunstpelz besetzt war. Es stand mit drei weiteren Mädchen – wohl Klassenkameradinnen – an der Wand des Schulgebäudes. Alle redeten mit lebhaften Gesten aufeinander ein.
    »Da ist sie«, flüsterte Jeannie mit gegen die Scheibe gedrücktem Zeigefinger, »da ist meine April.«
    Clem, ihr Mann, wischte ebenfalls ein Stück Scheibe frei. »Welche?«
    »An der Mauer. Die in der roten Jacke.«
    Clem zögerte. Offenbar wusste er nicht, wen sie meinte. »In einer roten Jacke? Davon gibt’s hier sicher zwanzig.«
    Jeannie winkte ungeduldig ab. »Ich erkenn doch wohl meine Tochter, Clem.«
    »Das hab ich nicht bestritten«, gab er zurück, deutlich bemüht, Streit zu vermeiden. Sie wusste, dass er so reagieren würde. Meist wünschte sie, er würde den Mund gar nicht aufmachen. Schließlich sagte er nur selten etwas Lohnendes.
Ihr war es am liebsten, wenn er einfach den Mund hielt und fuhr.

    Jeannie hatte Clem im Osten von Tennessee in der Filiale einer Restaurantkette kennengelernt, in der sie kellnerte. Sie hatte kündigen und weiterziehen wollen, und er saß in dem Bereich, wo sie bediente. Er war allein. Er hatte sie verrückt gemacht mit seiner endlosen, überaus präzisen Bestellung, in der er genau angegeben hatte, wie er seine Spiegeleier gebacken haben wollte (nur ganz kurz gewendet und mit einem Schlag Butter auf dem Dotter), wie die Soße serviert werden sollte (extra und im Suppenteller, nicht in einer Schale, und mit viel Schweinswurst drin) und wie seine gebackenen Äpfel (doppelte Portion mit viel Zimt) und seine Toastscheiben zuzubereiten waren (hart auf der einen, weich auf der anderen Seite). Sie hatte den Mann mit der gefängnisbleichen Haut und dem dünnen, dunklen Haar angestarrt, als er sie freundlich bat, die Bestellung zu wiederholen, dann seine Sonderwünsche runtergerasselt und gefragt, wo er her sei, um so ein Frühstück zu bestellen und anzunehmen, es auch zu bekommen. Aus dem Osten von Montana, hatte er geantwortet, aus Jordan. Und es war nicht so, dass er dort so ein Frühstück bekommen hätte – er hatte nur einfach drei Jahre lang von so einem Frühstück geträumt, in Deer Lodge, Montana, im Gefängnis. Er sagte, er heiße Clem. Sie sagte, sie heiße Suzy. Sie gab aus Gewohnheit stets falsche Namen an. Er frühstückte, las die Zeitung und rührte sich bis mittags nicht vom Fleck. Dann kam sie, um ihn nach seiner neuen Bestellung zu fragen.
    »Wieso steht auf Ihrem Namensschild ›Jeannie‹, wenn Sie doch ›Suzy‹ heißen?«, fragte er.
    »Wenn du was essen willst, halt deinen ungewaschenen
Rand«, sagte sie, was der Filialleiter – ein übereifriger, erschreckend junger Karrierist – mitbekam, sich aber nicht traute, sie selbst rauszuwerfen, sondern seinen Buchhalter vorschickte.
    Jeannie packte ihre wenigen Habseligkeiten und verließ das Restaurant. Neben ihren Sachen hatte sie auch einiges an Besteck und ein paar tiefgefrorene Steaks dabei. Doch die Batterie ihres Wagens war leer, und das Auto wollte nicht anspringen. Das machte sie zornig, aber Clem hatte auf sie gewartet und bot ihr an, mit ihm zu fahren.
    Das war neun Monate her, und keiner von beiden hatte eine Wohnung, einen Ort, wohin man hätte gehen, oder Verwandte, bei denen man hätte einziehen können. Als Clem erfuhr, dass ein Wade Brockius vorhatte, für Leute wie ihn eine Art Zuflucht zu schaffen, erzählte er Jeannie davon, und sie kauften mit ihrem wenigen Geld einen zwanzig Jahre alten Wohnwagen und fuhren nach Nordwesten. Damals wusste sie noch nicht, dass sie in einer Gegend landen würde, die sie kannte und hasste – dort, wo ihr Mann ermordet worden war und sie ihre Tochter ausgesetzt hatte.
    »Du siehst gut aus in dem Kleid«, sagte Clem, und sie warf ihm einen gereizten Blick zu.
    Dieser Mann gehört also zu den Montana Freemen, dachte sie, und hat monatelang in einem schmutzigen Bauernhaus bei Jordan, Montana, den lokalen Ordnungshütern, der Polizei des Landes und dem FBI die Stirn geboten. Er hat in den strauchreichen Ebenen Ostmontanas mit einer Skimaske und einer Ruger Mini 14 patrouilliert, und dieses Bild ist

Weitere Kostenlose Bücher