Blutschnee
seine Straßensperre durchbrochen.«
»Wollte ihn nicht auch jemand auf dem Footballfeld gesehen haben?«, fragte Marybeth skeptisch.
»Das stimmt.«
»Warum reagierst du dann so schockiert?«
Joe merkte, dass Sheridan ihn aufmerksam musterte.
Nate lehnte sich zurück und meldete sich beinahe flüsternd zu Wort: »Das bedeutet, dass Strickland mit ihrem Eingreifteam vom FBI endlich das Lager der Souveränen angreifen kann. Sie kann sagen, dort werde einem Flüchtigen, der des Mordes an einem Bundesbeamten verdächtig ist, Unterschlupf gewährt.«
»Ich hatte gedacht, die Sache würde sich beruhigen«, sagte Joe. »Aber Melinda Strickland will partout beweisen, dass ein Krieg im Gange ist. Und jetzt hat sie einen viel besseren Grund, ihn vom Zaun zu brechen.«
Marybeth begriff sofort. »Das wird sie doch nicht tun, oder?« Ihre Augen blitzten auf. »April …«
Joe begleitete Nate Romanowski im Dunkeln zu seinem Jeep. Der Himmel war klar und voller zart leuchtender Sterne. Der am Nachmittag geschmolzene Schnee war auf Bürgersteig und Fahrbahn zu einer glitschigen Haut gefroren.
Nate setzte die Greifvögel auf die Lehne der Rückbank und band die Schnüre an Drehgelenken aus Metall fest, die er zu diesem Zweck angebracht hatte. Joe schaute ihm dabei zu. Sein Atem stieg in Wölkchen auf. Gedanklich war
er dreißig Kilometer entfernt im tiefen Schnee des Battle Mountain.
Nachdem Nate die Vögel angebunden hatte, zog er unter seinem Sitz ein Bündel hervor, das sich als Schulterholster mit gewaltigem Revolver entpuppte. Er legte das Holster an, und der geschwungene schwarze Griff der .454er Casull bot sich Joe auf beeindruckende Weise dar.
»Warum tragen Sie so eine Waffe?«, fragte er.
Nate lächelte ein wenig. »Weil ich sie zu benutzen weiß und nichts anderes brauche. Diese Waffe hat die Beweglichkeit einer Pistole, ist aber schneller und verfügt über eine größere Feuerkraft. Sie wurde 1983 gebaut, und ihr Lauf ist neunzehn Zentimeter lang. Eine echte Kanone – aber eine, die man in der Hand hält. Ich habe mich lange umgehört, bin dann nach Freedom, Wyoming, gefahren und habe direkt beim Hersteller zweitausendfünfhundert Dollar dafür bezahlt. Die Kugeln sind zwanzig Gramm schwer und können selbst ein Auto durchschlagen.«
Joe stieß einen Pfiff aus.
»Oder ich feuere in den Kofferraum und treffe den Fahrer. Wenn drei Angreifer hintereinanderstehen, kann ich sie mit nur einem Schuss erledigen – und zwar aus dreihundert Schritt Entfernung.«
Joe hatte auf diesen Moment gewartet. »Ich nehme an, damit könnten Sie auch den Motor eines Wagens absterben lassen, der auf der Autobahn 87 bei Great Falls, Montana, unterwegs ist.«
Nate drehte sich um, lehnte sich gegen den Jeep und verschränkte die Arme. Seine scharfen Augen bohrten sich in Joe.
»Theoretisch ja«, sagte er gemessen. »Das könnte passieren. Jetzt bin ich Ihnen wirklich etwas schuldig.«
»Sind Sie nicht – das sagte ich schon.«
»Wollen Sie, dass ich Ihr kleines Mädchen zurückhole?«
Joe zögerte. Er war hin – und hergerissen. Die Frage traf ihn nicht unverhofft.
»Wir haben einen Anwalt damit beauftragt«, sagte er. »Das ist im Moment unsere einzige Zuflucht.«
Nate sagte zwar nichts, doch sein Schweigen war beredt.
»Ich mache mir Sorgen um sie, Nate. Sie wurde schon einmal ausgesetzt, und jetzt hat man sie aus der Schule genommen. Wenn Sie sich einmischen, gerät sie vielleicht noch mehr durcheinander. Wir haben sie zu gern, um ihr das zuzumuten. Außerdem stünde uns eine Entführungsklage ins Haus. Das Recht ist hier nicht auf unserer Seite.«
Nate nickte. »Sie haben darüber nachgedacht.«
»Tagelang.«
»Da oben im Lager wird sich demnächst was Übles zutragen. Ich schätze, das ist auch Ihnen klar.«
Joe rieb sich seufzend die Augen, erwiderte aber nichts.
»Vielleicht könnte Melinda Strickland etwas zustoßen«, schlug Nate vor.
Joe sah erschrocken auf. Nate hatte es todernst gemeint. Mit der Drohung gegen Strickland hatte er eine Grenze überschritten, und Joe war verpflichtet, darauf zu reagieren. Nate war sich dessen vollkommen bewusst.
»Sagen Sie so was nie wieder zu mir, Nate«, erwiderte er ebenso leise wie entschlossen.
Nate ging nicht darauf ein.
»Vielen Dank für das Essen und den sehr schönen Abend. Ihre Frau und ihre Tochter sind wundervoll. Sheridan ist etwas Besonderes. Sie wäre wohl eine gute Falknerin.«
Joe nickte, hörte Nate aber nur mit halbem Ohr zu. In seinem Kopf
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