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Blutschuld

Blutschuld

Titel: Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Cooper
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uns mit!, hatte er gesagt. Werd Teil des Teams.
    Um dann was zu tun? Sich drei Tage lang den Hintern platt zu sitzen und darüber zu schwadronieren, was man alles nicht tun könnte?
    Naomi stapfte den felsigen Strand entlang. Mit einem Blick aus zusammengekniffenen Augen saugte sie ihre Umgebung in sich auf. Die Macht der Gewohnheit. Der sichelförmige Fjord, der in den Alten-See-Graben eingebettet war, war überraschend genug gewesen. Die kleine Bucht füllte kristallklares grünes Wasser, die Oberfläche glatt wie ein Spiegel. Der Eingang zu dieser Zuflucht war so geschickt verborgen, dass nicht einmal Naomi ihn hätte finden können.
    Silas hatte ihr von der Hexenkunst erzählt   – Schutzzauber, nannte er es   –, die die Bucht verborgen hielt. Dass Magie am Werk war, würde erklären, warum beim Überfliegen des Grabens nochniemand eine Sichtung bestätigt hatte. Angeblich gab es hier nur nackten Fels und kaum Vegetation. Zum Teufel, Naomi wusste nicht einmal, wie tief in der Verwerfung sie sich befand. Anderthalb Kilometer? Weniger?
    Die Bucht war ein geheimer Unterschlupf. Dass es ihn wirklich gab, war an sich schon erstaunlich.
    Aber noch größer war die nächste Überraschung gewesen: Silas hatte Naomi die heißen Quellen gezeigt. Erstaunlich reichte als Beschreibung dafür nicht einmal mehr aus. Himmlisch traf es wahrscheinlich besser. Paradiesisch . Ein Bad im Wasser der Thermalquelle war genau das gewesen, was Naomi gebraucht hatte, um sich Blut, Schmutz, Ruß und böse Erinnerungen von der Haut zu waschen. Als Erstes, gleich nach ihrer Ankunft, hatte sich Naomi in das grüne Wasser gelegt und sich einweichen lassen, bis sie Waschfrauenfinger bekommen hatte.
    Sich an den ständigen Schwefelgeruch zu gewöhnen war kein Problem.
    Sich an ein komplett neues Team   – wenn sie es überhaupt so nennen wollte   – zu gewöhnen: Das war die eigentliche Herausforderung.
    Naomi suchte sich ihren Weg durch dichtes Blätterwerk, durch Palmenhaine und Farnwedel in einer Größe, wie sie sie aus New Seattle nicht kannte. Das wohlriechende Grün klatschte ihr gegen Arme und Beine, gegen Brust und Rücken, wenn Wedel und üppig belaubte Zweige an ihren ursprünglichen Platz zurückschnellten. Alles roch herrlich nach Erde, nach fruchtbarer Üppigkeit, nach Leben. Selbstverständlich war dieser Duft mit einer Schwefelnote unterlegt, die überall in der Mondsichelbucht die Luft schwängerte.
    Alles war fremdartig und geheimnisvoll; ganz als ob Naomi in eine andere Welt gelangt wäre. In eine andere Zeit.
    In ein anderes Leben.
    Eines ohne Phin, wie gehabt.
    Der Gedanke traf sie mitten ins Herz. Sie versuchte den Gedanken mit den schweren Stiefeln, mit denen sie durch den schwarzen vulkanischen Sand stapfte, in den Boden zu stampfen. Sie trat so heftig auf, dass sie eine deutlich sichtbare Spur im Sand hinterließ, der man leicht folgen könnte. Es störte sie nicht. Blindlings marschierte sie auf die ferne Steilwand zu, die in den Himmel ragte. Naomi hatte die Fäuste geballt und zitterte vor unterdrückter   … ja, was?
    Vor Anspannung. Wut. Ungeduld.
    Kummer. »Verfluchte Affenscheiße!«
    »Na, das ist mir noch nie untergekommen.«
    Naomi wirbelte herum; schwarzer Sand spritzte unter ihren Absätzen auf. Ihre Hand zuckte hinauf zur Achsel des unförmigen Pullovers   – eine Leihgabe von Silas   – und griff ins Leere. Keine Waffe. Keinen Lidschlag später ließ Naomi die Hand wieder sinken.
    Aber der Scheißreflex war immer noch da.
    Matilda stand in einigen Schritt Entfernung und beobachtete sie, ihr Geschichtsausdruck unergründlich. Eigentlich war sie immer unergründlich. Groß, spindeldürr, mit einem hüftlangen Zopf, der mehr grau als rot war. Naomi hatte keinen blassen Schimmer, wie alt Matilda war. Sechzig?
    Siebzig?
    Wer zum Teufel konnte das wissen? Sie jedenfalls nicht. Sie wusste nur, dass sie die alte Frau nicht ausstehen konnte. Vermutlich beruhte das Gefühl auf Gegenseitigkeit. »Wo zum Henker kommen Sie denn jetzt her?«
    Matildas Lächeln nach war sie die Gelassenheit in Person. Als ob sie die Gewitterwolken nicht aufziehen spürte, die Naomi um Sinn und Verstand brachten. Was absoluter Blödsinn war. »Das hier ist mein Zuhause«, erklärte Matilda nur und steckte die Hände in ihren überdimensionierten Overall. Ihre Gummistiefel waren knatschgelb, gesprenkelt mit schwarzem Lavasand.Das T-Shirt, das sie heute trug, war alt und fadenscheinig. Echte Baumwolle, selten wie ein Teufel auf

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