Blutschuld
»Wir haben nur beschränkten Zugang zu Informationen.«
»Nur das, was ich liefern kann«, meldete Jessie und hockte sichin den Sand, dort, wo die lächerlich kleinen Wellen gegen den Strand anrannten. Sie tauchte die Finger ins Wasser. »Durch mich haben wir vielleicht eine bessere Chance, etwas herauszufinden, als durch jede andere Informationsquelle. Beim Ausspionieren eurer …«, sie brach ab und korrigierte sich, »… der hiesigen Mission hab ich allerdings Probleme. Ich habe keine Vorstellung davon, wo ich nach was zu suchen hätte. Alles, was mir bekannt ist, ist der Besprechungsraum oder das Büro, das Peterson benutzt hat.«
»Missie Parker hat sicher ihre eigene kleine Bude«, murmelte Naomi.
Matilda hörte schweigend zu, die knorrigen Hände tief in den Taschen des Overalls.
»Aber in einem sind wir uns einig«, fuhr Jessie fort, hob den Blick und sah jedem der drei mit goldgesprenkelten braunen Augen ernst ins Gesicht, »wir müssen aktiv werden. Manchmal habe ich ja Glück, und eine Vision taucht auf …«
»So haben wir übrigens vom Zeitlos erfahren«, erläuterte Silas.
Jessie nickte. »Aber darauf können wir uns eben nicht verlassen.«
»Es gibt noch mehr zu bedenken«, mischte Matilda sich ein. Naomi bedachte sie mit einem mürrischen Blick und schob ihrerseits die Hände in die Taschen der Jeans, die ihr die Hexe geliehen hatte. »Was die Kirche betrifft, seid ihr zwei, Silas und du, Jessie, tot.« Mit einer Kopfbewegung in Richtung Naomi fuhr sie fort: »Du, aber, meine Liebe, bist eine Geächtete.«
»Was bedeutet«, sagte Silas, scharf im Ton, »auf dich ist ein Kopfgeld ausgesetzt.«
»Und zwar ein ganzer Batzen«, bestätigte Naomi. Sie grinste breit und zeigte blitzend weiße Zähne, als Jessie neugierig den Kopf zur Seite neigte. »Neben Silas war ich immer eine der besten. Was bedeutet, dass Kirche und Orden alle Hebel in Bewegung setzen werden.«
»Du warst besser als ich, Nai.« Silas furchte die Stirn. »Zwar knapp, aber du warst besser.«
Naomi hob die Schultern. Immerhin vermochte das Kompliment, eine Tatsache, so weit zu ihrer Entspannung beizutragen, dass sie besser durchatmen konnte. In einer Sache war sie richtig gut gewesen. Eine verflucht gute Missionarin.
»Lausig in allem anderen«, sagte sie mehr zu sich selbst.
Jessie seufzte tief. »Wir müssen uns unbedingt ein Informationsnetzwerk aufbauen.«
»Wir müssen vor allem einen Ansatzpunkt für unser weiteres Vorgehen finden«, stellte Naomi klar.
»Wir müssen «, sagte Matilda, und irgendwie gelang es ihr mit natürlicher Autorität, die Aufmerksamkeit aller zu gewinnen, »Naomi auf Vordermann bringen.«
Sofort brauste Naomi auf. »Ich bin nicht außer For…«
Jessies Gesicht hellte sich auf, als ihr dämmerte, was gemeint war. »Genau!« Sie schnellte hoch, baute sich vor Naomi auf und packte sie an den Oberarmen, gleich oberhalb der Ellenbogen. Auge in Auge standen sich Ex-Hexenjägerin und Hexe gegenüber. »Schau«, sagte Jessie, »es ist so und hör mir jetzt bitte genau zu, okay? Es ist wirklich wichtig.«
Amüsiert sagte Naomi erst einmal nichts, ließ zu, dass die zerbrechlichere, kleinere Frau sie an den Armen gepackt hielt. Teilweise nur deshalb, weil Silas in Reichweite war. Er würde Naomi mächtig den Arsch versohlen, sollte sie auch nur den kleinen Finger gegen seine Frau erheben. Hauptsächlich aber, weil sie Jessies gelegentliche Anfälle, Rückgrat zu zeigen, wirklich lustig fand.
Und beeindruckend.
»Du bist jetzt eine Hexe«, erklärte Jessie langsam und deutlich, jede Silbe einzeln betont. Als ob sie mit einem Kind spräche, was Naomi kein Stück mehr amüsierte. »Und weil du den Waffen abgeschworen hast, musst du zum Ausgleich gut lernen, mit Magie umzugehen.«
»Wenn’s ums Kämpfen geht, bin ich immer noch …«, begann Naomi, brach aber ab, als Jessie den Kopf schüttelte.
»Wir, Naomi, sind eine Gruppe, wie sie kleiner nicht sein könnte. Wenn einer von uns draufgeht, nur weil du nicht weißt, wie man die Quelle nutzt, sind wir am Arsch.«
Dagegen wusste Naomi nichts vorzubringen. »Also dann.« Sie schüttelte Jessies Hände ab. Das schmallippige Lächeln, das ihr kam, weil Silas neben ihr sich versteifte, unterdrückte sie. Gleich darauf aber zwang er sich ganz bewusst und für jeden sichtbar, sich wieder zu entspannen. »Ich bin also der Heiler-Dschinn vom Dienst.«
»Nein«, widersprach Matilda, aber Erheiterung tanzte in ihren Augen. »Nah dran, aber
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