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Blutschuld

Blutschuld

Titel: Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Cooper
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bedächtig den Nasenrücken. Einen Augenblick lang war die einzige Antwort, die Naomi erhielt, das Echo ihrer eigenen Worte, das von Felswand zu Felswand geworfen wurde und sich dann irgendwo im wolkenverhangenen grauen Himmel verlor.
    Naomi stieß einen Fluch aus und wandte sich ab.
    »Naomi.«
    Sie blieb stehen, die Schultern eine harte Linie aus Anspannung.
    »Wie hast du dich gefühlt?« Als Naomi einen Blick über die Schulter warf, sah sie, dass Matilda mit gerunzelter Stirn wieder hinaus aufs Wasser blickte. Das faltige Gesicht war unergründlich wie eh und je. »Damals, als dein Vater sich umgebracht hat.«
    Um Naomis Mund zuckte es. Was hatte sie damals gefühlt? Neben der Trauer, die ihr bis ins Mark ging, und der Wut, dass man sie in ein Waisenhaus geschafft hatte? Sie atmete tief durch. »Ich war erleichtert.«
    »Warum?«
    Das war leicht. »Weil er nicht mehr mit der Zurückweisung seiner Frau fertigwerden musste. Er musste den Schmerz nicht weiter ertragen. Dieser Schmerz hat ihn umgebracht, lange bevor es ein Seil getan hat.«
    »Seiner Frau.« Matilda sagte es freundlich, leichthin. »Nicht deine Mutter, sondern seine Frau.«
    »Sie war nie meine Mutter«, erwiderte Naomi tonlos. Sie drehte sich zu der alten Hexe um und begegnete ihr in derselben Haltung wie jedem Gegner. Mit erhobenem Kinn. Mit geballten Fäusten. Mit kühlem, stoischem Blick.
    Zur Hölle mit ihr, sollte sie der alten Schachtel erlauben, diesen Schlagabtausch zu gewinnen. Sie hatte zu viel durchgemacht, um sich das gefallen zu lassen. »Selbst als sie noch da war«, setzte sie hinzu. » Er hat sie geliebt.« Wie Naomi selbst einmal. Als sie zu klein gewesen war, um zu verstehen, dass das elegante, wunderschöne Wesen, das gelegentlich hereinschneite, so oberflächlich, ungerührt und ungnädig wie ein Spiegelbild war.
    »Was ist mit Phin?«
    Diese Stimme kam aus ihrem Rücken, jung und weiblich. Und mit genügend sachlichem Biss. Ohne nachschauen zu müssen, wusste Naomi, dass Jessie ihr gefolgt war. Was bedeutete, dass Silas auch nicht weit sein konnte.
    Naomi drehte sich also erst gar nicht um, sondern gab zurück: »Was soll mit ihm sein?«
    »Wie hast du dich gefühlt, als du ihn verlassen hast?«
    Leer. Innerlich hohl. Alles hatte ihr wehgetan. »Ich war erleichtert«, wiederholte sie. Aber selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme unsicher. Wahrheit klang anders. Naomi schüttelte den Kopf und gab die Antwort auf die Frage, die unweigerlich gestellt worden wäre. »Weil alles andere ihn aus seinem Leben herausgerissen hätte. Er hat einen Fehler gemacht; ich habe ihn nicht darauf festgenagelt. Es war nett mit Clarke, wir hatten echt eine gute Zeit, gemessen an den Umständen.« Ihre Stimme verflachte. »Er wollte es, ich wollte es. War nett mit ihm im Bett. Aber das war’s dann auch schon.«
    Stille senkte sich über das von Felswänden gesäumte Stück Strand. Die Andeutung einer herbstlichen Brise strich über Wasser und Strand, kräuselte Wellen. Weiter oben im schmalen Fjord klang der Wind anders; er rauschte. Sonst gab es nur, seltsam genug, den lautlosen Herzschlag einer lebendigen, wachsenden Vegetation.
    Und Naomis eigenen Herzschlag, kräftig und gleichmäßig. Aber gerade jetzt konnte sie darunter noch eine lebenspendende Macht spüren, die ihre eigene Lebendigkeit durchdrang und stützte. Fließend und warm, samtweich, von goldener Ruhe. Die Quelle.
    Hexenzauber.
    Schließlich seufzte Jessie. »Okay, wie du meinst«, sagte sie in einem Ton, der andeutete, sie ließe es auf sich beruhen   – zumindest vorerst. »Damit ist zumindest klar, dass es hier nicht um dich geht.«
    Naomi biss sich auf die Zunge, ehe ihr etwas rausrutschte, das sie sicher bedauern würde. Das Silas bedauern würde. So viel immerhin war sie ihm schuldig.
    »Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, worum es dann geht«, fuhr Jessie fort.
    »Und was wir deswegen unternehmen können.« Silas’ Stimme grollte in dieser stillen Welt besonders laut. Seine Stimme war schon immer lauter gewesen als nötig und ihm lieb war. Naomi fuhr zusammen, als er seine große Hand auf ihre Schulter legte. »Naomi, ich weiß, es ist hart. Uns alle hat es hierher verschlagen, und uns allen fehlt, was wir gewohnt waren, um uns zu haben. Uns fehlen Orientierungspunkte. Wie Befehle beispielsweise.« Ein Blick über die Schulter bestätigte Naomi, dass seine letzten Worte ein schiefes Grinsen begleitete.
    »Wie Jonas beispielsweise«, gab sie widerstrebend zu.

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