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Blutschuld

Blutschuld

Titel: Blutschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Cooper
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ganz dem Bild der fröhlichen Hausfrau aus der Mittelschicht.
    Es war einer von vielen Unterschieden, die Phin an seinen beiden Müttern bewunderte. Sein ganzes Leben über hatte er immer wieder die heimlichen, einander hastig zugeworfenen Blicke aufgefangen, die die beiden gern, genau wie hier auf diesem Foto, miteinander tauschten. Es war diese Vertrautheit, die Phin spürte und die ihm das Herz aufgehen ließ.
    Seine Mütter waren seine ganze Welt. Die beiden hatten das Zeitlos aufgebaut. Sie hatten die Firma, die dahinterstand, gegründet, als die Stadt gerade einmal zwei Jahrzehnte des Wiederaufbaus hinter sich hatte. Als er zum Mann heranreifte, übertrugen sie ihm die Leitung des noblen Hauses. Nichts hatte ihn je so erschüttert, wie der beinahe tödliche Unfall eines ihrer Gäste heute.
    »Ich gehe die Sache wieder und wieder durch«, gestand er plötzlich. Mit den Fingern umklammerte er das Glas. »Gleich als Erstes habe ich mir die Überwachungsprotokolle angeschaut.«
    Die Hand, mit der Lillian ihm eine Locke aus der Stirn strich, zitterte kein bisschen. »Erzähl mir, wie es passiert ist, Liebling.«
    Er seufzte, schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, ehrlich. Wir hörten Barbara schreien   …«
    »Wir?«
    »Unser frisch eingecheckter Gast, Naomi Ishikawa. Sie war gerade bei mir, als wir den ersten Schrei hörten.« Phin nahm einen weiteren Schluck Brandy. Vor seinem geistigen Auge ließ er die Ereignisse noch einmal Revue passieren. Die asiatisch angehauchte Schönheit, deren Lächeln stets kühl und distanziert wirkte, hatte das Saunafenster mit einer Selbstverständlichkeit eingeschlagen, als sei es aus Papier. Als wüsste sie exakt, was zu tun sei. Wie es zu tun sei.
    Die Szene war Phin noch so präsent, dass er bei dieser Erinnerung zusammenzuckte. Es musste schmerzhaft gewesen sein. Schmerzhafter, als Miss Ishikawa bereit gewesen war, sich anmerken zu lassen.
    »Sie war bei dir, sagtest du gerade?«
    Phin fing Lillians Blick auf, der ihn maß. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht; er hatte es nicht verhindern können. »Wie üblich habe ich mich einem neuen Gast vorgestellt, Mutter.« Und wie. »Da ich nicht abkömmlich war, als Miss Ishikawa eingecheckt hat, habe ich ihr nachträglich eine sehr verkürzte Einweisung in die Örtlichkeiten und Angebote unseres Hauses gegeben.« Sein Lächeln verschwand. »Als Barbara in der Not um ihre Großmutter zu schreien begann, ist Miss Ishikawa wie ein geölter Blitz losgerannt. Ich weiß nicht, wie der Unfall passiert ist   …«, Phin seufzte, »ich weiß nur, dass die Saunatür sich nicht öffnen ließ und sämtliche Kontrollanzeigen zur Hitze- und Dampfregulierung bereits im roten Bereich waren.«
    Lillian erhob sich und stellte ihr halb leeres Glas auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sessel ab. Mit steifen Fingern massierte sie sich den Nacken. »Hast du die Haustechnik gerufen?«
    »Die sind schon informiert.« Auch Phin erhob sich und streckte und reckte sich. Sein erschöpfter Körper protestierte. »Aber ich gehe gleich wieder runter zu den Technikern, jetzt, wo ich weiß, dass Alexandra wieder auf die Beine kommt. Und was ist mit dir? Ist mit dir alles in Ordnung? Oder soll ich vielleicht noch hier bleiben?«
    »Phinneas, du bist langsam wirklich zu groß, um noch in unserem Bett zu schlafen.«
    Lillians trockener Humor brachte Phin dazu, ihr ein jungenhaftes Grinsen zu schenken. »Wenn du etwas brauchst   …«
    »Du bist nur einen Stock tiefer, ich weiß.« Lillian lächelte ihn an, und ihr Lächeln wärmte ihn wie die Sonne. »Du bist wirklich ein guter Junge.«
    »Ich habe ja auch wunderbare Eltern.« Er beugte sich hinunter, um ihr einen Kuss auf die perfekt gepuderte Wange zu hauchen. Dabei atmete er Lillians Duft ein und fühlte sich sogleich getröstet: Rosenblüten und Mandelöl. Gemma hatte ihrer Frau unter anderem aus diesen Zutaten eine Salbe gegen ihre Arthritis gemischt. Der Duft war so vertraut, dass Bewunderung und Zuneigung für beide Frauen Phin das Herz wärmten. Sofort fühlte er sich geborgen, beruhigt. Seine Frustration und Sorge sank auf ein Niveau, das zu kontrollieren er zweifellos in der Lage war. »Sag Mutter, dass ich sie lieb habe.«
    »Mach ich. Aber du solltest versuchen, dir ein bisschen Ruhe zu gönnen, ja?«
    Die Antwort, die er gab, war so unverbindlich wie irgend möglich. Dass Lillians Blick ihm folgte, während er ihr den Rücken zukehrte, um zum Fahrstuhl hinüberzugehen, wusste er. Er spürte

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