Blutschuld
Widerstand und schlug an wie ein Gong. Eine der bauchigen Bronzeurnen, die als stilgerechte Vasen, gefüllt mit Blumen, an den Wänden verteilt waren, hatte es aus ihrer Nische gefegt – ein Geschoss der besonderen Art. Die Vase schepperte zu Boden und kullerte träge weiter, bis die vergoldete Einfassung einer edlen Glasduschwand sie stoppte.
Das Echo der Rollbewegung von Metall auf Stein erstarb. Es folgte Stille, scharf wie eine Rasierklinge.
Naomis Puls raste. Spürbar hing Gefahr in der Luft und brachte Naomis Herz dazu, wie wild in der Brust zu hämmern.
Zum Teufel, ja! Fast besser als Sex.
Genau so und nicht anders sollte eine Operation ablaufen.
Naomi stemmte sich hoch auf die Füße. Mit einem großen Schritt stieg sie über die Bronzevase, die sich noch träge wie ein langsam werdender Kreisel mit kaum wahrnehmbarem Geräusch um sich selbst drehte. »Los, zeig dich, du Weichei, mach schon!«, verlangte sie in spöttischem Ton. Ihre Stimme hallte von den gekachelten Wänden wider, traf ihr Ohr wie ein fernes Echo. Der Raum war nicht sonderlich groß; aber deckenhoch geflieste Wände trennten die verschiedenen Duschkabinen voneinander. Es gab unzählige Möglichkeiten, sich zu verstecken. Zu viele.
Spiegel schmückten die Wand hinter Naomi und reflektierten das Farbspiel, das offenkundig den Spa-Bereich des Nobel-Resorts wie ein Leitmotiv durchzog: hellgrün und lavendelblau.
Nichts um Naomi herum bewegte sich.
Aber wenn sie jetzt die Duschkabinen durchsuchte, würde sie die Tür ungedeckt lassen. Oder gab es vielleicht noch einen zweiten Ausgang aus dem Raum?
Naomis Finger zuckten in dem sehnsüchtigen Verlangen, das beruhigend zuverlässige Gewicht einer Waffe zu spüren.
Vorsichtig durchquerte die Jägerin den Raum. Der spitzen Absätze wegen klackten ihre Schritte besonders laut auf dem Steinboden. Jeder Schritt, der von den Wänden widerhallte, klingelte in den Ohren, als Naomi die Duschkabinen abschritt, um sie zu durchsuchen. Dann alle Ecken. Sie stieg über ein Häufchen Blumen hinweg und bemerkte, wie schnell der Rotschiefer das Blumenwasser aufsaugte.
Naomi war jetzt nah daran. Die Bronzevase war ja eben erst aus ihrer Nische geflogen gekommen. Wo zum Henker war der Scheißkerl also hin?
Jetzt hatte sie den Raum einmal umrundet und durchsucht. Wut bohrte sich wie Pfeilspitzen in ihre Brust. Es war niemandda. Keine Schritte waren zu hören, kein Atmen. Scheiße, verflucht noch mal, nichts war da als leise, sehr diskrete Hintergrundgeräusche: das konstante elektrische Flüstern der Versorgungsleitungen im Poolbereich. Es gab keinen anderen Ausgang.
Nur für den Fall der Fälle überprüfte Naomi die Gitter der Versorgungsschächte, die oben in jede Wand eingelassen waren.
Alle festgeschraubt.
Was zum Geier war ihr, der erfahrenen Jägerin, nur entgangen?
Auf dem Absatz machte Naomi kehrt und verließ den Raum durch den einzigen Aus- und Eingang. Jetzt durchsuchte sie systematisch den vorderen Ankleideraum. Sie fand nichts außer Reihen von Spinden, Ablagen und Spiegeln. Naomi drückte einen der Schwingtürflügel auf und beäugte misstrauisch die beiden Putzmäuse. Sie waren immer noch damit beschäftigt, im Poolbereich für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Mit demselben vorsichtigen Argwohn, mit dem Naomi sie bedachte, erwiderte der Teenie ihren Blick.
»Ist irgendjemand hier rein oder raus?«, verlangte Naomi zu wissen. »Sagen wir: in den letzten fünf Minuten?«
»Nein, Ma’am«, beantwortete die ältere der beiden Naomis Frage. »Nur die Haustechnik.« Das Zimmermädchen deutete mit einer lässigen Handbewegung in Richtung Saunatür, wo Naomi ihre Antwort finden würde: Die Sauna war jetzt hell erleuchtet; ihr entströmte noch immer Dampf. Von drinnen waren Männerstimmen zu hören.
Naomi klappte den Mund zu und presste die Lippen aufeinander, ehe sie dem Drang, vor Frust loszubrüllen, nachgeben konnte. »Danke«, gelang es ihr herauszuwürgen.
»Ist alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?«
Nein, es ging ihr nicht gut, und nichts war in Ordnung, verdammt! Sie war so weit davon entfernt, sich in Ordnung zu fühlen, dass sie dem ersten Idioten, der ihr in die Quere käme, die Fressepolieren würde. Naomi setzte ein Lächeln auf. Sie musste sich derart dazu zwingen, dass ihr die Kiefer schmerzten. »Oh, mir geht’s prima. Übrigens: Die ganze Unordnung da tut mir leid.«
Die beiden wiegelten ab, sagten irgendetwas versöhnlich Klingendes. Naomi kümmerte das nicht
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