Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutschwestern

Blutschwestern

Titel: Blutschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
erkannte, dass man Worten eine andere Bedeutung geben konnte,
     wenn man den Klang seiner Stimme veränderte. Überhaupt schienen auf einmal so viele Dinge Bedeutung zu haben, die sie vorher
     nicht verstanden hatte.
    |305| »Mutter liebt Xiria«, sagte sie leise vor sich hin und begriff die Bedeutungslosigkeit in den Worten. »Degan liebt Xiria«,
     sprach sie erneut und verspürte sogleich ein warmes Gefühl in ihrem Bauch. Xiria kannte noch nicht viele Worte, und so versuchte
     sie, Mutter irgendwie mit Worten zu bedenken, die treffender schienen und ein Gefühl in ihr aufkommen ließen. »Mutter liebt
     Xiria … nicht!«, versuchte sie sich erneut. Zwar brachten diese Worte nicht genau zum Ausdruck, was sie empfand, doch sie
     waren besser als die ersten. »Xiria liebt Mutter nicht, Xiria liebt Degan«, hängte sie einfach beide Sätze aneinander und
     verstand immer besser das Prinzip der Laute. Ihr wurde klar, dass es nötig war, Dinge und Gefühle mit Lauten benennen zu können,
     wenn man sie verstehen wollte. Und Xiria wollte mehr verstehen von den Lauten und den Gefühlen, und sie wusste, dass sie dafür
     die Menschen beobachten musste. Doch das war nicht einfach. Sie ahnte instinktiv, dass es nicht gut wäre, sich einfach offen
     vor ihnen zu zeigen. Sie waren anders als Xiria, sie besaßen keine Schwingen, und sie verhüllten ihre Körper. Zwar waren sie
     Xiria ähnlich, doch sie waren nicht wie sie. Ob das gut oder schlecht war, wusste sie noch nicht, aber sie würde es herausfinden.
    Sie ließ den kleinen Menschen mit seiner Mutter allein und ging zum nächsten Haus. Hier saßen ein weiblicher und ein männlicher
     Mensch zusammen, und der weibliche Mensch war sehr dick um den Leib. Dass es weibliche und männliche Menschen gab, hatte sie
     beim Beobachten von Liebe bemerkt, denn es waren zumeist immer ein weiblicher und ein männlicher Mensch, welche sich liebten,
     und es war eine andere Liebe als die, welche mit dem Laut Mutter in Zusammenhang stand. Xiria hatte schnell begriffen, dass
     es zwei unterschiedliche Arten von Menschen gab. Die einen waren ihr vom Körper her ähnlich, die anderen sahen aus wie Degan.
     Sie verstand auch bereits, dass sie sich gegenseitig anzogen, um etwas zu fühlen, was sie allein nicht hätten fühlen können.
     Xiria befühlte ihren Bauch. Er war glatt und flach. Als der männliche Mensch |306| seine Hand auf den Bauch des weiblichen legte und ihn sanft streichelte, erkannte sie einmal mehr, dass auch dies irgendetwas
     mit Liebe zu tun haben musste. Liebte er die Frau wegen des runden Bauches? Xiria fand ihn nicht schön, doch sie wirkten so
     verbunden. Sie dachte an den kleinen Menschen, der von seiner Mutter umarmt worden war. Vielleicht war ja in diesem kugeligen
     Leib ein kleiner Mensch? Und vielleicht liebte man kleine Menschen einfach, weil sie so klein waren? Wo kamen sie her? Wie
     machte man sie … und warum? Xiria meinte zu glauben, dass der männliche Mensch etwas mit dem runden Bauch zu tun hatte. Sie
     dachte an die Pärchen, die sich der Liebe hingegeben hatten. Auch da hatte der männliche Mensch etwas mit seiner Gefährtin
     getan, allerdings nicht mit ihrem Bauch.
    Xiria schüttelte den Kopf. Es war zu früh, das alles verstehen zu wollen, doch sie würde es bald verstehen. Im Augenblick
     jedoch fühlte sie nur das Brennen in ihrem Körper, das auch ihren Hals zuzuschnüren schien – immer dann, wenn sie an
Mutter
dachte. Xiria war das Brennen so unerträglich, dass sie es bekämpfen musste. »Mutter«, sagte sie erneut und blickte hinüber
     zum Tempel, in dem sie gelebt hatte. Es war dunkel, und wenn sie ihre Schwingen benutzen würde, käme sie sehr schnell wieder
     dorthin zurück. »Mut ter tut Xiria weh«, suchte sie nach den richtigen Worten und drehte sie dann um, wie sie es für sich gelernt hatte. »Xiria tut
     Mutter weh!« Diese Worte lösten ein wenig die Spannung in ihrem Innern und ließen sie sich besser fühlen, da sie richtig und
     gut erschienen. Xiria schwang sich in die Luft und ließ den Tempel nicht aus den Augen, während sie ihn anflog.
     
    Liandra zwängte sich durch den kleinen Durchgang zum Tempelhof und schlang fröstelnd die Arme um ihren Leib. Die Hütte war
     leer. Xiria war fort. Ihre Augen suchten den Nachthimmel ab, doch natürlich konnte sie nichts erkennen. Liandra empfand eine
     Mischung aus Angst und böser Vorahnung. Sie musste Xiria töten, sobald sie |307| gefunden war, und sie war sich sicher, dass

Weitere Kostenlose Bücher