Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutseele

Blutseele

Titel: Blutseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
Vom Netzwerk:
verbinden. Wenn Sie eine Verabredung wollen, hinterlassen Sie eine Nachricht, und ich rufe zurück. Wenn Sie Unterhaltsforderungen an mich stellen wollen, wählen Sie …« Die Ansage brach in einem Piepen ab, und der alte Witz löste keinerlei Erheiterung aus. Kevin war nie verheiratet gewesen. Lilly lächelte nicht länger. Sie war immer noch wütend auf ihn. Die Wut auf Deana war ein wenig verpufft, obwohl die Frau laut genug geschrien hatte, dass die halbe Stadt sie gehört haben musste. Aber Lilly musste mit jemandem reden, und alle anderen waren entweder zu alt oder zu jung. Außerdem wollte sie wissen, was ihrer Mutter mit vierzehn zugestoßen war.
    »Hi, Kevin. Ich bin’s, Lilly«, sagte sie. Sie hörte den Ärger in ihrer Stimme, obwohl sie sich bemühte, ihn zu verstecken. »Ich brauche dein offizielles Urteil zu etwas, was seit ein paar Tagen vor sich geht. Du bist immer noch ein Mistkerl, aber ich kenne sonst niemanden, der eine unparteiische Meinung abgeben könnte. Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast.«
    Sie schloss den Mund, aber ihre Gedanken rasten weiter. Wie konntest du so gemein sein? Hast du geglaubt, ich würde es nicht herausfinden? Hast du geglaubt, es würde mich nicht interessieren?
    Sie beendete den Anruf ohne ein weiteres Wort. Ihr Ge sicht brannte. Sie war neununddreißig und fühlte sich dumm. Dumm und voller Wut. Wie war sie als alleinerziehende Mut ter mit zwei Kindern geendet, die im Haus ihrer Mutter vom Einkommen einer Künstlerin lebte?
    Sie umklammerte das Handy, während sie über die sanft wogenden Felder im Mondlicht hinwegsah. Hinter sich konnte sie den Wald wie eine drohende Gegenwart fühlen. In der Ferne zuckte Wetterleuchten über die Felder. »Ich nehme an, es könnte noch schlimmer sein«, sagte sie, während sie beobachtete, wie die Mädchen hinter Glühwürm chen hersprangen. Ihre glatte Haut und ihre Aufregung mach ten sie wunderschön, wild, fast unwirklich. Sie hatte etwas Gutes in ihrem Leben, und das würde sie nicht in Gefahr bringen.
    Über Lilly rief ihre Mutter aus dem Fenster nach Meg und Em. Wie Blumen in der Sonne drehten sie sich, glücklich mit ihrem Leben und in Frieden mit dem Universum, während sie auf ein kaltes Bad und ein weiches Bett zuliefen. Wann ist mir diese Freude verloren gegangen?, fragte sich Lilly, als sie an ihr vorbeiglitten. Lilly schaffte es gerade noch, kurz ihre Haare zu berühren. Pepper stand auf und folgte ihnen mit klingelndem Halsband ins Haus.
    Die drückende Hitze des Tages, die immer noch aus dem Boden aufstieg, schien zu verschwinden, als in Lilly die Erinnerung an bernsteinfarbene Augen erwachte. Wieder sah sie, wie ihre Mutter schmerzerfüllt weinte, und die Angst, dass dieser Junge – dieser clevere, hinterhältige, gleichgültige Junge – ihre kleinen Mädchen verletzen könnte, nahm ihr die letzte Ruhe.
    »Was stimmt nicht mit mir?«, flüsterte Lilly. Sie stellte sich an das Geländer der Veranda, während sie durch ein offenes Fenster hörte, wie ihre Töchter sich stritten.
    In der folgenden Stille schien das Plätschern des Wassers unter der Brücke lauter zu werden. Deprimiert beobachtete Lilly das glitzernde Wasser, das um Steine floss. Meg hatte gesagt, sie könnte Stimmen im Wasser hören. Das fantasievolle Mädchen sprach ständig mit sich selbst und führte einseitige Gespräche, die Lilly nie groß beachtet hatte. Aber was, wenn ihre eingebildeten Freunde in Wirklichkeit Penn waren? Was, wenn ihre Mutter nicht verrückt war? Was wenn … Was wenn das, was sie heute gesehen hatte, real gewesen war?
    Lilly ging mit klopfendem Herzen auf die Brücke zu. Die Dunkelheit verschlang sie, und das Licht der Fenster verblasste, als sie in die Nacht trat. Hitze umfing sie und bewegte ihre Haare, bis ihre Sandalen das schwere Holz der Brücke fanden und das Zirpen der Grillen unter dem Plätschern des Wassers unterging. Über dem Wasser war die Luft kühler. Sie lehnte sich über die Brüstung und sah zu den Glühwürmchen auf, die wie kleine Feen durch die Luft tanzten.
    Plötzlich spürte Lilly das fast unstillbare Verlangen, ihre Sandalen auszuziehen und die Füße ins Wasser zu strecken. Das Plätschern klang so einladend, und die heiße Erde war aufgeladen mit ihrer Vergangenheit. Es war, als würde eine Kette sie nach unten drücken und jede Bewegung verhindern. Sie musste diese Last wenigstens für einen Moment abschütteln. Und wenn es im Wasser Stimmen zu hören gab, dann würde sie sie hören. Sie

Weitere Kostenlose Bücher